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Faust 2015 > Ebene 06 Vor der Stadt
06 Vor der Stadt
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Hintergrund: Stadtansicht mit Dom. Links und rechts je ein Stadttor. Zwei Wege, bestehend aus je zwei Laufbändern, führen aus den Toren, kreuzen sich in der Bühnenmitte und enden links und rechts im Parkett. Die Kreuzung wird durch eine statische Mittelfläche gebildet. Eine große Linde mit Steinbank in Bühnenmitte rechts neben dem Kreuzungsbereich.
Aus den Stadttoren wird das Volk in puppenhafter Starre auf den Laufbändern über die Bühne gefahren. Alle Personen sind in den Farben weiss bis schwarz bekleidet. Die Gesichter sind mit halbtransparenten Kapuzen überzogen und damit  anonym.
Auf der kleinen Mittelfläche treten sie aus ihrer starren Unwirklichkeit in die reale Welt ein, laufen die zwei Meter, zeigen dabei „Leben“ und treten wieder ein in die vorherige Starre und rollen den Ausgangstüren im Parkett entgegen. Die gesprochenen Texte ergeben ein Stimmengewirr. Die Verse 809 – 851 wrden somit stark gekürzt.
Ein Bettler, die erste Person, die  nicht anonym auf die Bühne kommt, verlässt das Laufband, kniet auf dem Rasen nieder und stellt ein Schild mit der Aufschrift „Bitte ein Almosen!" vor sich. Die weiteren „handelnden“ Personen erscheinen in realen Kostümen und unmaskiert.       
Panthyrann tritt als Mönch verkleidet von rechts, nicht aus dem Stadttor kommend, auf die Bühne. Wenig später folgt Mephistopheles und stellt sich neben Panthyrann.               
Faust mit Wagner kommen aus dem linken Tor, verlassen die starre Puppenwelt vom Kreuzungspunkt aus und laufen die wenigen Schritte zu der Steinbank unter der Linde. Faust im langen dunklen Gelehrtenmantel. Wagner ist geckenhaft gekleidet mit grünen Kniebundhosen, auffälligen Hosenträgern, mit einem Edelweiß geschmückt, gestrickten Kniestrümpfen und festen Wanderschuhen, weißem Hemd ohne Kopfbedeckung.
Er bereitet das Picknick auf dem freien Ende der Steinbank vor und beißt ungeduldig in sein Brot. Faust wartet mit dem Essen. Auf der Bühne befinden sich nur noch Faust, Wagner, Panthyrann, Mephistopheles und der still sitzende, teilnahmslos blickende Bettler, der ein Lied anstimmt. Mephistopheles und Panthyrann beobachten die Szenerie regungslos von weitem.                                                                     

Bettler 
Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,
,Lasst hier mich nicht vergebens leiern!
Nur der ist froh, der geben mag.
Ein Tag, den alle Menschen feiern,
Er sei für mich ein Erntetag.
 
Faust bemerkt, dass in seiner Manteltasche ein Buch steckt. Wagner hat  den „Faust I/II“ heimlich eingepackt. Faust blättert und sucht nach einer bestimmten Stelle.
Drei Mädchen, kommen als Nachzügler aus dem linken Tor und gleiten auf dem Laufband zur Bühnenmitte. Bärbel (später Bärbelchen genannt) ist eine kleine kokette Brünette, bekleidet mit einem Mieder über dem langen dunkelgrünen Rock. Die zweite ist eine junge Dame namens Lieschen, bekleidet mit einem Kleid, das an eine Abendrobe erinnert. Beide haben sich untergehängt und reden munter aufeinander los. Die dritte, Margarethe,  geht auffällig im Abstand hinter den beiden. Margarethe tritt erstmalig in Erscheinung. Bekleidet mit ihrem taubenblauen knöchellangen Umhang, Trotz ihrer starren Haltung mustert sie verträumt die Umgebung. Faust hat den „Osterspaziergang" gefunden und liest Wagner vor. (Hier wieder das Prinzip, dass bekannte Gedichte oder Zitate aus Faust I/II szenisch vorgelesen werden). Ein leichter Windstoß bläst ihm die Mütze vom Kopf. Die Mütze landet nahe der Gruppe der Mädchen, die gerade die Plattform erreicht haben, auf dem  Rasen.
Margarethe hat den lustigen Flug der Kopfbedeckung des ihr unbekannten alten Herren, der da so friedlich mit einem Buch auf dem Schoß sitzt und jemandem vorliest, verfolgt. Schnell springt sie, ihre Puppenhaftigkeit verlassend, die wenigen Schritte auf die Mütze zu, hebt sie auf und bringt sie dem Alten. Sie tritt damit ein in seine Welt. Die beiden Freundinnen ändern ihre Stellung schlagartig, verlassen das Laufband und warten, dass Margarethe zu ihnen zurückkommt.
Faust hat nicht aufgeschaut beim Lesen. Womöglich bemerkt er erst den Verlust der Mütze, als er diese in der Hand des Mädchens sieht, das auf einmal zaghaft und schüchtern neben ihm steht, denn sie möchte den Vortrag durch ihre Anwesenheit nicht stören. Sie bemerkt, dass ihr die Verse, die da gesprochen werden, bekannt sind. Sie steht neben dem Greis und hört andächtig zu.                                                                  
 
Faust
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter in seiner Schwäche,
Zog sich in raue Berge zurück. 
Faust unterbricht das Lesen, da er sich räuspern muss. Margarethe kennt den Text und rezitiert aus dem Gedächtnis:
 
Margarethe 
Doch an Blumen fehlt`s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen, finsteren Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern
 
Margarethe stockt und weiß nicht weiter. Faust schaut das erste Mal zu dem Mädchen auf, lächelt ihr zu und liest weiter:
 
Faust
Sie feiern die Auferstehung des Herrn;
Denn sie sind selber auferstanden
 
Panthyrann hat aus seiner Entfernung Margarethes freundlichen Auftritt verfolgt und mustert das Mädchen eindringlich, krault sich das Kinn. Ein Gedankenblitz dringt in sein göttliches Hirn und ein Küsschen der Eingebung entweicht den Lippen.
Die beiden Freundinnen werden ungeduldig. Bärbel pfeift sogar aus ihrer Statik heraus, um die leicht zum Träumen neigende Margarethe aufzuwecken.
 
Faust
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks - und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
 
Faust muss einen Schluck aus der Flasche nehmen, so dass Margarethe weiter sprechen kann.
 
Margarethe 
Sieh nur, sieh! Wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss in Breit` und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und,  bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
 
Eine der Freundinnen ist zu Margarete gelaufen und zieht sie an der Hand fort. Margarethe verabschiedet sich im Gehen von Faust mit einem leichten Knicks. Faust entlässt das freundliche Kind mit einem dankbaren Nicken. Sie wird auf das Podest gezogen und die drei Mädchen setzen ihren Weg gemeinsam fort.          
 
Faust ist mit Wagner wieder allein. Über Faust in der Baumkrone bewegt sich etwas. Einer der Gehilfen des Mephistopheles, vermutlich ein Dünnteufel, schwebt aus den Kumuluswolken herab und klettert mit einem großen schwarzen Stoffhund unter dem Arm auf einen Ast direkt über Faust und Wagner.
An einem dünnen Seil lässt er den Hund herab und bringt ihn in kreisende Bewegung, so dass der Hund in großem Bogen um die beiden herum zu laufen scheint. Wagner hat eine prinzipielle Abneigung gegen alles, was lebt und nicht zum eigenen Selbsterhaltungstrieb notwendig ist. Er verfolgt dieses Ungetüm ängstlich misstrauisch
Faust lächelt über das höchst komische Aussehen des unförmig aussehenden Tieres. Ihn packt die Lust, seinen engstirnigen, peniblen Schüler aufzuziehen. Er suggeriert Wagner scherzhaft die Anwesenheit eines Gespenstes ein. (Was ja auch nicht so sehr von der Hand zu weisen ist.)
Faust
Siehst du den schwarzen Hund
Durch Saat und Stoppel streifen?
 
Wagner versucht, der Peinlichkeit zu entgehen, und spielt den Gleichgültigen.
 
Wagner
Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.
 
Faust
Betracht` ihn recht! für was hältst du das Tier?
 
Wagner
Für einen Pudel, der auf seine Weise
Sich auf der Spur des Herren plagt.
 
Faust lässt nicht locker und witzelt weiter:
 
Faust
Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
Auf seinen Pfaden hinterdrein. 
 
Wagner wird die Anspielung peinlich, denn er ist soweit, dass ihm die Knie beginnen weich zu werden und eine Gänsehaut über seinen Rücken läuft.
 
Wagner
Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;
Es mag bei euch wohl Augentäuschung sein.
 
Faust
Mir scheint es, dass er magisch leise Schlingen
Zu künft`gem Band um unsre Füße zieht.
 
Wagner
Ich seh` ihn ungewiss und furchtsam uns umspringen,
Weil er statt seines Herrn zwei Unbekannte sieht.
 
Faust
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!
 
 
Faust
Du siehst: ein Hund, und kein Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
Er wedelt. Alles Hundebrauch.
 
Faust hat sein Spielchen begonnen und kann nicht mehr zurück. Er beginnt, den Magier zu spielen, nur um den armen Wagner zu ängstigen.
 
Faust
Geselle dich zu uns! Komm hier!
 
Faust
Es ist ein pudelnärrisch Tier.
Verliere was, er wird es bringen,
Nach deinem Stock ins Wasser springen.
 
Faust schwingt über dem Hund die Wurst hin und her. Mephistopheles, muss sich das Lachen unterdrücken, winkt nach oben, damit der kleine Dünnteufel dem ganzen Zauber noch ein gewaltiges Stück draufsetzt. Der zieht ruckartig am Strick, um den Hund in eine aufrechte Stellung zu bringen. Der Kopf des Hundes wird größer und bekommt die Gestalt eines Totenkopfes. Aber nicht nur das. Das Totenkopfgesicht beginnt zu lachen, indem es eine Reihe weißer Zähne zeigt und mit bellendem Schrei nach der Wurst schnappt.   
 
Wagner hat sich in dem Moment, als der Hund sich aufrichtete, ängstlich hinter Faust versteckt und ist somit nicht Zeuge dieser gespenstischen Verwandlung geworden. Faust ist erstaunt aber mehr belustigt als ängstlich und voller Verblüffung, wie solch ein Zauber möglich sein kann? Er schlägt sich ungläubig mit der Hand vor die Stirn, aber bevor er sich der Situation richtig bewusst wird, ist das Zaubertier mit der Wurst im grinsenden Gebiss schon in Richtung Nebenbühne verschwunden. Faust schüttelt ungläubig den Kopf. Mehr noch schütteln sich Panthyrann und Mephistopheles vor Lachen und verschließen sich die Münder, um nicht laut heraus zu prusten und womöglich den ganzen Zauberspuk zu verraten.
Faust greift hinter sich nach dem verängstigten Wagner und zieht ihn hervor. Der schaut in die Runde und lässt ein befreiendes Seufzen hören - die Erlösung von dem Hund gibt ihm wieder Mut, wenn auch mit zittriger Stimme, die richtigen Worte zu finden, um sich aus der Blamage zu befreien.
Faust
Du hast wohl recht: ich finde nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist Dressur.
Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
Der Vorhang schließt sich.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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