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Faust 2015 > Ebene 08 Bibliothek 2
08 Bibliothek 2 / Teil 2
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Und wieder geht das Gemurmel los. Millionen antworten im Chor.
 
Chor
Ich bitt euch, nehmt euch meiner an!
 
Mephistopheles   
Da seid ihr eben recht am Ort.
 
Chor-Chaos         
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
Und in den Sälen, auf den Bänken
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
 
Mephistopheles   
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
 
Fünfte Stimme 
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
Doch sagt mir nur: wie kann ich hingelangen?
 
Zur letzten Stimme aus der dritten Reihe gewandt:
 
Mephistopheles   
Was wählt ihr für eine Fakultät?
 
Chor-Chaos         
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
Und in dem Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.
 
Mephistopheles   
Da seid ihr auf der rechten Spur;
 
Sechste Stimme
Ich bin dabei mit Seel und Leib;
 
Mephistopheles   
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen!
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! Nur das geistige Band.
 
Chor-Chaos         
Kann euch nicht eben ganz verstehen.
 
Mephistopheles   
Das wird nächstens schon besser gehen,
 
Chor-Chaos         
Mir wird von alledem so dumm,
Als ging` mir ein Mühlrad im Kopf herum.
 
Mephistopheles   
Nachher, vor allen andern Sachen,
Müsst ihr euch an die Metaphysik machen!
Da seht, dass ihr tiefsinnig fasst,
Was in des Menschen Hirn nicht passt;
Habt euch vorher wohl präpariert,
Paragraphos einstudiert,       
Damit ihr nachher besser seht,
Dass er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens wohl befleißt,                              
Als diktiert` euch der Heilig Geist!
 
Chor-Chaos         
Das sollt ihr mir nicht zweimal sagen!
Ich denke mir, wie viel es nützt;
Denn was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.
 
Mephistopheles   
Doch wählt mir eine Fakultät!
 
Chor-Chaos         
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
 
Siebente Stimme
O glücklich der, den ihr belehrt!
Fast möcht ich nun Theologie studieren.
 
Mephistopheles wendet sich nochmals zum Theaterpublikum und grinst hämisch mit seinem Totenkopfgebiss.
 
Mephistopheles   
Ich wünschte nicht, euch irrezuführen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden;
Es liegt in ihr so viel verborgenes Gift,
Und von der Arzenei ist`s kaum zu unterscheiden.
 
Chor-Chaos         
Wollt ihr mir von der Medizin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
 
Mephistopheles wendet sich wieder um und ruft die Hände um den Mund haltend:
 
Mephistopheles   
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
Muss wieder recht den Teufel spielen.
 
Wieder zu Auditorium gewandt.
 
Mephistopheles   
Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
Ihr studiert die groß` und kleine Welt,                                  
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie´s Gott gefällt.
 
Mephistopheles will dem Frage- und Antwortspiel ein Ende setzen und macht eine den Abschluss anzeigende Handbewegung mit der Bemerkung zu der Studentengruppe in der zweiten Reihe;
 
Mephistopheles   
Besonders lernt die Weiber führen!
Es ist ihr ewig Weh und Ach,
So tausendfach,
Aus einem Punkte zu kurieren,
 
Bei diesen Worten hat er sich etwas vom Katheder entfernt und zeigt mit aller Deutlichkeit auf den „Punkt". Die Folge dieser obszönen Geste ist ein einstimmiges Ahh und Ohh.
 
Mephistopheles   
Und wenn ihr halbweg ehrbar tut,
 Dann habt ihr sie all unterm Hut.
Versteht das Pülslein wohl zu drücken
Und fasset sie, mit feurig-schlauen Blicken,
Wohl um die schlanke Hüfte frei,
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.
 
Achte Stimme
Das sieht schon besser aus!
Man sieht doch wo und wie.
 
Tosende Zustimmung, Pfiffe, Händeklatschen, Kreischen. Mephistopheles richtet sich zu voller Körpergröße auf, stellt sich sogar auf die Zehenspitzen, um an Länge zuzunehmen, hebt den rechten Arm und schwenkt ihn Ruhe gebietend über den Saal. Mit größtem Ernst und tiefstmöglichem Tonfall deklamiert er:
 
Mephistopheles   
Grau, treuer Freund, ist alle Theorie
Und grün des Lebens goldner Baum. 
 
Mephistopheles verbeugt sich zum Abschied und macht Anstalten, zu gehen.
Aber erst soll es zum Höhepunkt der Veranstaltung kommen, denn schon lange hat Mephistopheles mit einem Augenpaar aus der ersten Reihe kokettiert. Diese völlig verhüllte Muslima tritt an Mephistopheles heran und reicht ihm scheu ein kleines Heftchen aus den Falten ihres schwarzen Gewandes hin. Hinter dem schmalen Sehschlitz leuchten zwei große schöne glänzende Augen hervor. 
 
Studentin
Szenenbild 06
Ich kann unmöglich wieder gehn,
Ich muss euch noch mein Stammbuch überreichen;
Gönn eure Gunst mir diese Zeichen!
Mephistopheles nimmt das Heftchen und macht einen Krakel hinein, geht sehr dicht auf die Verhüllte zu und reicht der Unerkennbaren das Heft zurück mit den Worten:
 
Mephistopheles   
Sehr wohl.
 
Die Studentin liest laut den Text:
 
Studentin
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.    
 
Mephistopheles   
Szenenbild 07
Folg nur dem alten Spruch und meiner
Muhme, der Schlange.
Dir wird gewiss einmal bei deiner
Gottähnlichkeit bange!
Szenenbild 08
Mephistopheles steht dicht vor der Verhüllten. Mit kräftigem zielsicherem Griff ergreift er das schwarze Tuch über ihrem Kopf und reißt das gesamte Gewand von ihrem Körper. Eine leicht gebräunte orientalische Schönheit steht in aufreizender Nacktheit vor dem Weltauditorium.
Sie wird eine Ägypterin sein, schwarzhaarig mit großen weit aufgerissenen zornig erschrockenen Augen, ebenso großen sorgfältig konturenscharf nachgezogenen rotgefärbten Lippen. Riesige goldene Kreolen hängen ihr von den Ohren herab und lassen den schlanken Hals noch länger erscheinen. Ihr Haar, in dessen Ansatz kurz oberhalb der Stirn ein in Gold gefasster Stein funkelt, fällt in wellenden Wogen über die nackten Schultern herab.
Der Abriss des Tuches wird begleitet vom tausendfachen Ahhh der Menge.
Die Frau ist derart über die Entblößung erschrocken, dass sie nicht reagieren kann. Das Heft fällt ihr zu Boden und ihre bisher noch verborgenen Hände, die von Handschuhe bedeckt sind, umschließen ihre Brüste. Sie wirft sich auf den Boden und bleibt erstarrt liegen. Keiner weiß so gut wie sie selbst, welches Schicksal diese Entblößung zur Folge haben wird.
Entblößt wurde nicht nur ihr Gesicht, sondern ihr Körper. Das bedeutet absolute Entehrung für sie und ihre gesamte Familie. Um die Familienehre wieder herzustellen, gibt es nur ein Urteil –  ihren Tod durch Steinigung.
Panthyrann betritt die Bühne und geht auf Mephistopheles zu, bleibt vor dem zitternden Mädchen stehen, schaut herab, blickt hinüber zu Mephistopheles, schüttelt vorwurfsvoll mitleidig den Kopf.
Die Bühne verdunkelt sich für einen Moment, um die intermezzoartige Urteilsvollstreckung einzuleiten. 
Szenenbild 09
Die Steinigungsszene wird unter dem tosenden Beifall der Massen dargestellt.
Noch vor Beendigung dieser Grausamkeit erscheint Faust im neuen Gewand und sieht, wie der Oberkörper der Frau blutüberströmt über dem Steinhaufen leblos zusammenbricht.
Mephistopheles zieht sich die Totenschädelmaske vom Gesicht.
Faust
Szenenbild 10
Wohin soll es nun gehn?
Mephistopheles   
Wohin es dir gefällt!
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
 
Faust
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
Ich wusste nie mich in die Welt zu schicken.
Vor andern fühl ich mich so klein;
Ich werde stets verlegen sein.
 
Mephistopheles   
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
 
Faust fügt sich dem Blick Mephistopheles` und gibt klein bei und wird endlich einmal konkret und denkt an Praktisches. Als hätte ihn das Leben eingeholt, wenn er an Pferde, Knecht und Wagen denkt.
 
Faust
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?
 
Mephistopheles   
Ein bisschen Feuerluft, die ich bereiten werde,
Hebt uns behend von dieser Erde,
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf, -
Ich gratuliere dir zum neuen Lebenslauf.
 
Szenenbild 11
Mephistopheles und Faust stehen dicht nebeneinander. Unter ihnen hebt sich eine kreisrunde Glasscheibe aus dem Bühnenboden und trägt beide schwebend in das Dunkel der Nebenbühne. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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