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Faust 2015 > Ebene 20 Unter der Laterne 1
20 Unter der Laterne 1
 
Diese Szene soll nicht in im engen Garten Frau Marthes spielen, sondern auf einem Platz der Stadt unter einer Straßenlaterne.
Margarethe
Versprich mir, Heinrich!
 
Faust
Was ich kann!
 
Margarethe
Nun, sag: wie hast du`s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
 
Faust
Lass das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ` ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
 
Margarethe lässt sich von Lust und Drang nach weiteren Sticheleien verleiten und treibt gereizt das Spiel in eine gefährliche Richtung, wissend, dass nur Enttäuschung das Ergebnis für sie sein kann. Das Gefühl, ihm in Wissensfragen unterlegen zu sein, hat sie bisher abgehalten, derartige Fragen zu stellen aber die wachsende Vertrautheit und damit auch die Gewöhnung an seine Art zu reden und sie in ihrer Art vorurteilslos zu nehmen, sie zu akzeptieren, wie sie ist, wie sie fühlt, wie sie ihn zu lieben imstande ist, hat ihr den Mut gegeben, das für sie so wichtige Thema zu hinterfragen.
 
Margarethe
Das ist nicht recht, man muss dran glauben!
 
Faust
Muss man?
 
In diese Gegenfrage musste das Gespräch mit logischer Konsequenz gipfeln. Was soll er diesem lieben Kinde antworten? Glauben oder nicht glauben und wenn ja, was und an wen und in welchem Maße. Für sie, die bedingungslos ehrfürchtig glaubt, gibt es keine Maßeinheiten für eine Antwort, aber für ihn, den zu differenzieren Gewöhnten, den Abwägenden, den Fordernden, den Zweifelnden sehr wohl. Er erfährt, wie schwer es ist, zu definieren, wo für einen Gläubigen Definition einfach überflüssig ist.
 
Margarethe
Du ehrst auch nicht die heil`gen Sakramente.
 
Faust
Ich ehre sie.
 
Margarethe
Doch ohne Verlangen.
Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
 
Faust
Mein Liebchen, wer darf sagen:
Ich glaube an Gott!
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
 
Margarethe
So glaubst du nicht?
 
Faust
Misshör mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen
Und wer bekennen:
Ich glaube ihn!
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub ihn nicht!
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Fasst und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
 
Faust fühlt sich auf dünnes Glatteis geschickt und möchte am liebsten das Gespräch beenden, weiß aber nicht wie. Er möchte er sie nicht verletzen, weicht aus und versucht, zu bagatellisieren, steht auf und deklamiert seine nächsten Verse schulmeisterlich, um die Sache zum scherzhaften Abschluss zu bringen.
Dieser Versuch Fausts geht voll daneben. Margarethe gibt ihm eindeutig durch ihr zornig werdendes Gesicht, durch ihre Handbewegungen, zu verstehen, dass sie es ernst gemeint hat mit ihrer Bitte nach Auskunft über seine Stellung zur Religion. Gekränkt rückt sie von ihm ab. So naiv, wie sie sich von ihm bisher gesehen fühlte, ist sie nicht und will sie auch nicht sein. Wer wird ab jetzt wen mit Erfolg missionieren? Sie ihn oder er sie? Eine Frage, die sie sich mit Bangen stellen muss, auch mit der Angst, die Missionierte sein zu können, denn schon bei seinen ersten Antworten spürte sie eine gewisse Unsicherheit in ihrer Gegenargumentation. Hätte sie doch nie davon angefangen!
Und er? Er spürt, sie in diesem Moment des Erzürnens ein gewaltiges Stück besser kennengelernt zu haben. Sie ist stärker, wissender als er vermutete. Er rückt zu ihr und berührt vorsichtig ihren Rücken mit den Fingern seiner rechten Hand, was prompt zur Folge hat, dass sie einen weiteren Schritt von ihm abrückt und sich hinter den Laternenmast stellt. Jetzt stehen sie auf Distanz zueinander und an ihm ist es, Worte zu finden, die die Unstimmigkeit dämpfen. Er spricht in einem ernsten Tonfall weiter:
 
Faust
Wölbt sich der Himmel nicht daroben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau ich nicht Aug in Aug dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle bist,
Nenn es dann, wie du willst:
Nenns Glück! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
 
Margarethe gibt auf, da sie spürt, dass sie ihm nicht beikommt, dass sie beide Haltungen einnehmen, die unvereinbar zu sein scheinen, wo nur diplomatische Akzeptanz helfen kann. Schwer wird das werden, nicht diese Akzeptanz an sich, das ist kein Problem für sie, aber die Gewohnheiten, die Traditionen, die sind es, die ihr erhofftes zukünftiges Zusammenleben belasten werden, denn dass sie bereits von einer derartigen gemeinsamen Zukunft insgeheim zu träumen begonnen hat, muss sie sich eingestehen. Sie bleibt in ihrer Stellung und schweigt. Sie muss Zeit gewinnen und ihn zwingen, ihr diese zu geben. Auch ihr Trotz lässt sich nicht von der Hand weisen. Sie möchte schon, dass er sie umwirbt, um sie wieder in die Stimmung zu versetzen, das Spiel des Zusammenseins wie vorher genießen zu können, auch wenn dieser kleine Stachel sich in ihre Seele eingenistet hat und sie wohl damit leben werden muss. Nach einigen Sekunden des Schweigens antwortet sie leise:
 
Margarethe
Das ist alles recht schön und gut;
Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein bisschen andern Worten.
 
Faust
Es sagen`s aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;
Warum nicht ich in der meinen?
 
Faust geht zu ihr und streicht liebkosend über ihren nackten Arm. Sie ist noch nicht zufrieden mit sich selbst und seinen Antworten und wehrt ihn ab, wenn auch nicht mehr so barsch wie beim letzten Versuch. Ihr gelingt es nicht, zur gleichen Zeit ernsthafte Gespräche zu führen, die noch dazu einen Hauch von Unstimmigkeit haben, ja von Missstimmung zeugen, und dabei Zärtlichkeiten auszutauschen. Sie kann nur lieben, wenn ihr Herz frei ist von Missstimmung, von Zorn und Ängstlichkeit. Sie ist noch nicht bereit, sich ihm zuzuwenden und redet abgewandt von ihm.
 
Margarethe
Wenn man`s so hört, möcht`s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.
 
Faust
Liebs Kind!
 
Nein, sie ist und will jetzt nicht ein liebes Kind sein! Sie schlägt sich mit der rechten Hand zornig an den Laternenmast und bereitet den nächsten Angriff vor. Wenn das erste schon nicht gelang, so wird sie das zweite, das ihr auf der Seele brennt, noch loswerden wollen.
 
Margarethe
Es tut mir lang schon weh,
Dass ich dich in der Gesellschaft seh.
 
Faust
Wieso?
 
Margarethe
Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer inn`rer Seele verhasst;
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben
Als des Menschen widrig Gesicht.
 
Faust
Liebe Puppe, fürcht ihn nicht!
 
Nun auch noch diese Anrede! Nein, sie bleibt wütend und lässt sich nicht für dumm verkaufen. Sie beginnt regelrecht zu schimpfen und erhebt ihre Stimme zu ungewohnter Lautstärke:
 
Margarethe
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,
Hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih mir`s, wenn ich ihm unrecht tu!
 
Faust
Es muss auch solche Käuze geben.
 
Margarethe
Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
Kommt er einmal zur Tür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein
Und halb ergrimmt;
Man sieht, dass er an nichts keinen Anteil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
Dass er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird`s so wohl in deinem Arm,
So frei, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Inn`re zu.
 
Sie macht eine Pause, um Luft zu holen. Faust fühlt sich entblößt von dieser ahnenden Frau, die fühlt, die empfindet, was er nicht zu denken imstande ist. Wie klein ist er plötzlich vor ihr und wie wenig kann er ihren Argumenten entgegenhalten. Sie hat so recht, so unsagbar recht mit allem, was sie sagt und empfindet und er liebt sie dafür umso mehr. Er selbst ist ein Betrüger, denn er hat furchtbare Geheimnisse vor ihr. Er kann, wird und will sich aus diesem Zwang nicht befreien doch ein Hauch von Gewissen berührt ihn. Er weiß, dass er im entscheidenden Moment nicht die Kraft aufbringen wird, sie rettend aus dem vernichtenden Strudel zu ziehen, in dem er sie bereits jetzt zu sehen glaubt. Er wird schuldig werden am Schicksal dieser Einzigen, doch er verdrängt diese Gedanken und dreht instinktiv den Kopf, um Mephistopheles zu suchen. Der hat sich inzwischen neben Panthyrann gestellt. Beide lauschen schon lange dem Zwiegespräch.
Faust still für sich flüsternd:
 
Faust
Du ahnungsvoller Engel du!
 
Margarethe
Das übermannt mich so sehr,
Dass, wo er nur mag zu uns treten,
Mein` ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch, wenn er da ist, könnt ich nimmer beten,
Und das frisst mir ins Herz hinein;
Dir, Heinrich, muss es auch so sein.
 
 
Was soll Faust antworten? Er kann und wird kein Geständnis ablegen und seine teuflischen Absichten erklären. Er wird diese wunderbare Zeit auskosten, solange es ihm und ihr gestattet wird. Danach mag kommen, was will.
Er bagatellisiert:
 
Faust
Du hast nun die Antipathie!
 
Sie wird niemals aus den gewohnten Konventionen ausbrechen können und wollen. Sie würde damit ihren festen und sicheren Glauben verraten. Sie ist  zornig und es zieht sie nach Hause, um allein zu sein.
 
Margarethe
Ich muss nun fort.
 
Faust kann sie so nicht gehen lassen. Er zieht sie an sich, nimmt sie in die Arme und sie lässt es geschehen. Sie hat aufgegeben, sich zur Wehr zu setzen. Sie erwidert zögernd seinen Blick, sein Lächeln, seinen Kuss. Faust fasst Mut, den nächsten Schritt zu gehen.
 
Faust
Ach, kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen
Und Brust an Brust und Seel in Seele drängen?
 
Sie schaut ihn an - er schaut sie an und liest in ihren großen feuchten Augen eine tiefe Sehnsucht, eine Bereitschaft, zu geben, zu nehmen, zu schenken und mit einem Schaudern im Rücken ergänzt er den Gedanken – sich, wenn nötig, auch zu opfern.
Ihre Gedanken sind seinen sehr ähnlich. Die Prophezeiung, die sie am Abend zuvor las, lassen sie schaudern. Ihre Lippen sprechen das Gegenteil dessen aus, was ihre Angst ihr einflößt.
 
Margarethe
Ach, wenn ich nur alleine schlief!
Ich ließ dir gern heut nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief,
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär gleich auf der Stelle tot!
 
Faust
Du Engel, das hat keine Not.
Hier ist ein Fläschchen! Drei Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
 
Margarethe
Was tu ich nicht um deinetwillen?
Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!
 
Margarethe nimmt das Fläschchen an sich und lässt es in die Tasche ihres Rockes fallen. Sie reicht Faust beide Hände zum Abschied. Der nimmt sie und lässt sich vor ihr auf die Knie fallen, schlingt seine Arme und ihre Hüften und presst seinen Kopf an ihren Schoß. Sie windet sich geschickt aus seiner Umarmung und verweigert ihm den Abschiedskuss. Sie wendet sich ab und läuft in Richtung Stadt. Er ruft ihr nach:
 
Faust
Würd ich sonst, Liebchen, dir es raten?
 
 
Panthyrann und Mephistopheles schauen ihr ebenfalls nach. Margarethe hat den letzten der Kuben erreicht, lehnt sich an ihn und flüstert zu sich: 
 
Margarethe
Seh ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht, was mich nach deinem Willen treibt;
Ich habe schon so viel für dich getan,
Dass mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt.
 
Margarethe ist verschwunden und Mephistopheles kommt grinsend auf Faust zu.
 
Mephistopheles   
Der Grasaff! ist er weg?
 
Faust
Hast wieder spioniert?
 
Mephistopheles   
Ich hab`s ausführlich wohl vernommen:
Herr Doktor wurden da katechisiert;
Hoff, es soll Ihnen wohl bekommen.
Die Mädels sind doch sehr interessiert,
Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken: duckt er da, folgt er uns eben auch.
 
Faust
Du Ungeheuer siehst nicht ein,
Wie diese liebe, treue Seele,
Von ihrem Glauben voll,
Der ganz allein
Ihr seligmachend ist, sich heilig quäle,
Das sie den lieben Mann verloren halten soll.
 
Mephistopheles   
Du übersinnlicher, sinnlicher Freier,
Ein Mägdelein nasführet dich.
 
Faust
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!
 
Faust lehnt an einem der Kuben, Mephistopheles an der Laterne, Faust gegenüber.
 
Mephistopheles   
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich:
In meiner Gegenwart wird`s ihr, sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vieleicht wohl gar der Teufel bin. -
Nun, heute nacht - ?
 
Faust
Was geht dich`s an?
 
Mephistopheles   
Hab ich doch meine Freude dran!
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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