Der "Faust" als
„Ganzes“ ist in seiner Komplexität kaum aufführbar. Der Stoff verlangt
Deutungen, Visionen, Adaptionen - und vor allem Streichngen -, um in der
heutigen Zeit eine breite Rezeption finden zu können – oder es kommt zu
Aufführungen a la Peter Steins Mammutinszenierung von Vers 1 bis 12111. Das
heißt nicht, dass dieses Projekt keine Existenzberechtigung hat – im Gegenteil,
aber eine breite Publikumsmasse wird dieser Überfülle an Textversen ohnmächtig
gegenüber stehen.
Einige Regisseure mögen
zwar willens gewesen sein, das Gesamtwerk mit umfangreichen Streichungen, „Modernität“
und Witz eingeschlossen, auf die Bühne zu bringen, zu aktualisieren, die
Universalität und Zeitlosigkeit dieses Stoffes unter Beweis zu stellen aber sie
scheiterten, wenn nicht schon zu Beginn des zweiten Teiles, dann aber mit
Sicherheit beim Realisierungsversuch des Epiloges, der „Bergschluchten“.
Es gibt nur einen Künstler,
und das war ausgerechnet ein Komponist, der diesen Epilog in eine Form brachte,
die dieser Schlussszene und damit dem Kulminationspunkt des gesamten „Faust“
gerecht wurde - Gustav Mahler mit seiner Achten Sinfonie. Wie hoch Mahler diese
letzten Worte – „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“, bewertet hat, dürfte sich
jedem erschließen, der diese Sinfonie bewusst hört.
Dieser 2. Sinfonie-Satz
ließ die Idee für die konzipierte Inszenierung eines kompletten „Faust“ unter
dem Arbeitstitel „Faust 2015“ entstehen. Das bedeutet, dass diese Sinfonie,
oder zumindest umfangreiche Teile davon, Bestandteil der Inszenierung sein müssen.
Dieses „Das ewig Weibliche ….“
sollte zu dem Thema werden, auf dem sich die gesamte Inszenierung aufbaut.
Automatisch ergibt sich daraus, dass die „Weiblichkeit an sich“ durch die im
Original-Faust agierenden Frauengestalten zu verkörpern sind.
Aus dieser Forderung, mindestens
den Schluss des „Faust II“ mit dem Inhalt des „Faust I“ in direkte
Korrespondenz zu bringen, ergab sich, dass nach einer Lösung gesucht werden
musste, die einen direkter Zusammenhang zwischen „Faust I“ und „Faust II“ deutlich
werden lässt.
Die Original-Handlung ist nicht
nur äußerst vielschichtig, sondern in weiten Teilen zusammenhanglos und bereits
im ersten Teil bezüglich des biologisch bedingten Zeitablaufes einer
Schwangerschaft völlig unlogisch. Alle Mystik, Zauberei und Metaphysik ist
dabei ausgeklammert.
Würde im „Faust II“ nicht
die Seele Fausts von der Margarethes in die sogenannte Erlösung geführt werden,
gäbe es neben der ständig präsenten Beziehung Faust – Mephistopheles keine
nennenswerten Zusammenhänge zwischen beiden Faust-Teilen.
Die Inszenierung erfüllt
nicht den Anspruch, „modern“ zu sein. Der Zuschauer soll nicht durch extreme
Bühnenbilder oder Experimente geschockt werden, die die um ihrer selbst willen
eingebaut wurden. Die Szenenfolge wurde aus Gründen verändert, die in den
folgenden Abschnitten ausführlich dargelegt werden.
Es wurden ergänzend Gestalten,
Zwischenhandlungen und Intermezzi eingefügt,
ohne dass der Originaltext außer Streichungen verändert wurde.
Das Konzept ist weiterhin mit
dem Ziel entwickelt worden, ein breites Publikum in einem Theater u erreichen,
das diese Inszenierung über Jahre täglich über die Bühne gehen lässt.
Es muss eine Balance zwischen
Text, Bühnenbild, Bewegung und Musik gefunden werden, die immerwährende
Spannung und Erwartung erzeugt. Diese Komponenten müssen sich einander ergänzen und zur
Einheit verschmelzen.