12 Die Person Dr. Heinrich Faust - faust-1-faust-2-inszenierung.com

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Konzeption
Die Person Dr. Heinrich Faust
 
 „Faust I/II“ trägt den Untertitel „Der Tragödie erster bzw. zweiter Teil“. Die allgemeine Definition des Begriffes „Tragödie“ besagt, dass der Held im Konflikt am Ende unterliegt. Die Frage muss gestattet sein, wer denn im „Faust I/II“ der  eigentliche Held ist.
Dr. Faust ist Wissenschaftler, Forscher, wissensdurstig bis zur Skrupellosigkeit. Seine Bücher, seine Wissenschaft bedeuten ihm mehr als alles Leben außerhalb seiner Studierstube bzw. seines Forschungslabors. Erst die Bekanntschaft Mephistopheles` öffnet ihm nach langen Jahren des Insichgekehrtseins eine Sicht auf das wahre Leben, das außerhalb seiner Wissenschaft pulsiert. Faust ist bereit, sich mit Hilfe des teuflischen Freundes in dieses Leben zu stürzen mit der Bereitschaft, keinen Augenblick wahrhaft und dauerhaft zu genießen. Sollte er doch, so sei es um ihn geschehen, heißt es im Pakt mit Mephistopheles. Faust unterwirft sich einerseits der Lenkung Mephistoheles`, verzichtet aber keineswegs auf eigenen Willen, auf eigene Meinung. Ganz im Gegenteil: er macht dem Freund bitterste Vorwürfe, wenn der seine Wünsche nicht bereitwillig erfüllen will. Er verlangt, dass ihm das Gretchen „noch heute“ ins Bett gelegt wird oder er verlangt das unverzügliche Herbeischaffen der antiken Helena – aber lebendig. Skrupellos geht er auf das Ziel los – und Mephistopheles lacht sich ins Fäustchen.
Es bedarf keiner langen Zeit und für Faust wird die angebliche Liebe zu Margarethe zur Pflichtübung, die sich als solche in der Kerkerszene nur bestätigt. Rational gesehen ist seine Haltung sogar verständlich, denn was soll dieser vorwärts strebende Geist mit einem Mädchen, dessen Verstand scheinbar gelitten hat und das vor dem Gesetz zur Kriminellen geworden ist. Über seinen eigenen Part an diesem Schicksal will und kann er nicht nachdenken. Während er nicht zum geringsten Schuldeingeständnis fähig ist, erhebt sie sich weit über ihn.
Faust hat nie gelernt hat, zu lieben, hat nie gelernt, Verantwortung oder Rücksichten gegenüber anderen Menschen zu übernehmen. Er ist der skrupelloseste Ich-Mensch, der zwar tiefschürfend und wortgewaltig nach dem Sinn des Lebens sucht, nach dem, was „die Welt zusammen hält“, aber das Einfachste -  die Liebe – übersieht er, auch wenn er am Ende als alter gelehrter Philosoph um die Liebe ebenso wie über den Kosmos oder alle Facetten der Naturwissenschaften bestens Bescheid weiß.
Er hinterlässt aber stets den Eindruck von Unehrlichkeit, wenn er lauthals und mit pathetischem Wortschwall seine Liebe zu Margarethe nachweisen will.
 
Im „Faust 2015“ wird Faust von den Regisseuren Mephistopheles und Panthyrann als ein Mensch charakterisiert, der sich im Verhältnis zum anderen Geschlecht als asozial zeigt. Er ist einer wahren Liebe unfähig, predigt wortgewaltig Theorien und versagt jämmerlich in der Praxis.
 
Mephstopheles erinnert Faust drohend an ihren gemeinsamen Vertrag („Du darfst mir`s nicht im Ernste sagen …“). Würde Faust seine „angebetete“ Margarethe wahrhaft lieben, könnte er diese Liebe nicht dem Vertragsinhalt unterordnen.
Sein Charakter ist mies aber nicht frei von Emotionalität. Er ist wahrer aufopferungsvoller und uneigennütziger Liebe nicht fähig.
Im „Faust 2015“ erkennen Mephistopheles und Panthyrann diese Liebesunfähigkeit Fausts und spielen das aus, indem sie ihn im realen wie im irrealen Leben, permanent reizen, indem sie ihm das Bild Margarethes wie eine ewige Mahnung vor Augen halten. Wie in der „Hexenküche“ prophezeit, soll er in jeder Frau Helena bzw. Margarethe sehen.
Faust schildert seinem Famulus Wagner während des Osterspazierganges, also noch vor dem Erscheinen des Mephistopheles, seine Vergangenheit als menschenverachtend, betrügerisch, mörderisch und gefühllos. Er ist bereit zu einem solchen Schuldeingeständnis – aber er reflektiert diese Vergangenheit nicht anders als jede andere kleinste Episode seines Lebens. Wenige Minuten zuvor spricht er die bekannten Verse des Osterspazierganges, die voller Lebensweisheit sind. Was für Widersprüche!
Diese „Vorgeschichte“ seines Lebens erklärt seine unbändige, lediglich fleischliche Lust auf das unschuldige und unerfahrene Mädchen, erklärt seine Skrupellosigkeit, seinen Mangel an Fein- und Mitgefühl. Er ist der größten „Worte“ fähig – er kann sich seitenweise im selbstgefälligen Deklamieren ergehen, aber es bleiben bezogen auf seinen wahren Charakter nichts als leere Worte.
Doch zurück zum Ausgangspunkt der Überlegung: Die einzige „Dramatik“ in Fausts Leben ist die, dass er das, was die Welt zusammenhält, nie begriffen hat. Wenn einem derartigen Geist am Ende nur mit der Begründung eine himmlische Erleuchtung oder Erlösung zuteilwird, weil er sich stets strebend bemüht hat, müssten die erkenntnishungrigen Wissenschaftler, die skrupellosen Politiker, Diktatoren usw. millionenfach vor der Himmelspforte mit der Gewissheit, Einlass zu erhalten, Schlange stehen. Die Wissenschaftler und Nobelpreisträger, die unter anderem an der Entwicklung der Atombombe oder chemischen Kampfstoffen aktiv beteiligt waren (und noch sind) haben wenigstens noch eine Familie, Frau und Kinder, die sie umsorgen und lieben. Ein Faust hat nicht einmal das vorzuweisen.
 
Kurz vor seinem Ende bekennt er der „Sorge“, nur durch das Leben gerannt zu sein. Er ist sich also zeitlebens seines miesen Charakters bewusst gewesen, aber ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. Selbst diese „Sorge“ stößt er als für ihn inkompetent zurück.
Jemand, der sich sein Leben lang verantwortungslos, menschenverachtend und gleichgültig gibt, ist nicht fähig, vor Kummer, Wut und Zorn „Staub zu fressen“.
Auch im „Faust 2015“ soll ihm, schließlich ist das durch den Originaltext vorgegeben, „Erlösung“ zuteilwerden. Das Fazit seines Lebens verbietet eine derartige „Erlösung“, die einem großen „Verzeihen“ gleichgestellt werden müsste. Eine, bezogen auf den überdimensionalen Ereignisumfang des Fauststoffes, winzig kleine Brücke wird ihm gebaut, über die er zu einer wahren menschlichen Regung gelangen kann – der Tröstung eines kleinen Kindes.
Um auf den Ausganspunkt der Überlegung zurück zu kommen, wird Faust die „dramatische“ Gestalt verweigert und statt dessen Margarethe zugesprochen.
 
 
 
 
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü