Im „Faust I/II“ liegt die Gewichtung zwischen Gott und Teufel eindeutig beim Teufel Mephistopheles, denn nur im Prolog tritt „Gott, der Herr“, und das eher beiläufig, auf.
Im „Faust 2015“ haben „Der Herr“ und Mephistopheles wie im Original Goethes ihren Hintergrund in der Christlichen Mythologie. Der Unterschied zum Original besteht darin, dass sie wie in einer Art „Hypothese“ Gestalten sind, die eben diese Christliche Religion, verallgemeinert auch alle Religionen zusammengefasst, repräsentieren bzw. darstellen. Sie reduzieren sich dabei auf „Gut“ und „Böse“ oder eben „Gott“ und „Teufel“.
Beide sind Menschen, die vielleicht dem Wahn verfallen sind, diese universelle „Größe“, die man als Religion schlechthin bezeichnet, repräsentieren zu können, die der Menschheit, in diesem Falle beschränkt sich dies auf ein Theaterpublikum, den großen Irrtum, dem sie verfallen ist, nahbringen will.
Sie nehmen im Vorspiel auf dem Theater geschickt dem Theaterdirektor die Zügel aus der Hand und versprechen das großartigste Theater, was je gespielt wurde. Sie führen Regie und spielen sich selbst als Hauptrollen. Sie zeigen, dass sie bzw. die, die sie verkörpern, vom menschlichen Geist erfundene Symbolfiguren sind und verkennen trotz ihrer Selbstverherrlichung nicht ihre Herkunft, ihre Zeugung und Geburt. Diese Grundvoraussetzung für das Verständnis des „Faust 2015“ wird in dem Intermezzo „Geburt und Machtergreifung der Religion“ szenisch dargestellt. Damit wird der Faust–Stoff weitestgehend säkularisiert.
Die Menschen haben sich zu jeder Zeit Götter, Heilige und Propheten geschaffen, die sich in der Geschichte zu gewaltigen Machtpotentialen verselbständigt haben und skrupellos über die sich ihr willenlos unterwerfende Menschheit herrschen. Beide wissen, dass man ihnen die Urheberschaft unzähliger Gesetze, religiöser Vorschriften und Rituale zuschreibt.
Im „Faust 2015“ sind Gott und Teufel gleichwertige Gestalten und stellen eine gleichberechtigte Dualität dar. Keiner kann ohne den anderen existieren. Daraus folgt, dass auch „Gott, der Herr“, einen Namen bekommen musste - Panthyrann (der tyrannische Gott).
Sie halten im „Faust 2015“ die Fäden fest in der Hand bis zu dem Moment, in dem ihnen kurz vor dem Schluss der Inszenierung alles entgleitet. Eine Macht schleicht sich ein, die beide in ihrer Größe nicht kennen bzw. ignoriert haben. Die „wahre Liebe“, hier in Form der fiktiven Gestalt der Mater Agape, erscheint und entscheidet das Ende für sich und macht Mephistopheles und Panthyrann zu Verlierern.
Mephistopheles ist der aktive und Panthyrann der passive Teil des Paares. Wenn es inhaltlich vertretbar ist, übernimmt Panthyrann Texte anderer Figuren. Mephistopheles trägt ständig ein Buch mit sich, in dem die Geschichte der Menschheit aus tiefster Vergangenheit bis in die weiteste Zukunft notiert ist. Mit Hilfe dieses Almanaches kann er jede Zeit, jedes geschichtliche Ereignis, wie mittels einer Zeitmaschine im Traum Fausts erlebbar machen. Dieser Almanach ist für das Duo Panthyrann / Mephistopheles Hilfsmittel für die szenische Lenkung ihrer Inszenierung.
In der Klassischen Walpurgisnacht nimmt Mephistopheles die Gestalt der Phorkyas an. In dieser Maske suggeriert er dem komakranken Faust die irreale Welt der griechischen Antike und bedient sich hierbei einer „Fratze“, die möglichst schockierend wirkt, denn schließlich ist der Grund für den gesamten Zauber die Hoffnung, Faust wieder zum Leben zu erwecken.
Das „Paar“ Mephistopheles – Panthyrann ist bereits vor Beginn der Vorstellung vor dem noch geschlossenen Vorhang präsent. Wie zu Beginn der Vorstellung sitzen sie am Ende wieder auf der Bühnenrampe und würfeln um die Seelen von Menschen – den Zuschauern, die den Theatersaal verlassen. Sie machen gestikulierend ihre Späße und nehmen weder sich und ihre Opfer ernst.