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Faust 2015 > Ebene 46 Die Todeszelle 2
46 Die Todeszelle 2 / 2
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Faust versucht nun, sie mit Gewalt zum Mitkommen zu bewegen und will sie auf den Arm nehmen, sie wegtragen. Sie wehrt sich, entreißt sich ihm und es passiert das erste Mal, dass sie ihn anschreit. Das weitere Geschehen nimmt sie in eigene Hand, völlig bewusst setzt sie sich zur Wehr,  Stärke in sich fühlend.
 
Margarethe
Lass mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab ich dir ja alles zulieb getan.
 
Faust ist erschrocken und wütend, dass alles Bemühen ergebnislos bleibt.
 
Faust          
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
 
Margarethe
Tag! Ja, es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
Es ist eben gescheh`n!
 
Margarethe behält ihren bestimmenden Tonfall bei und redet sehr deutlich. Die Kälte wird ihr wieder bewusster und sie beginnt zu zittern. Trotzdem formuliert sie ihre Gedanken klar und präzise.
 
Margarethe
Wir werden uns wiedersehn -
Aber nicht beim Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht;
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
Wie sie mich binden und packen!
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe, die nach meinem zückt.
Stumm liegt die Welt wie das Grab!
 
Faust          
O wär ich nie geboren!
 
Szenenbild 03
Mephistopheles, der die ganze Zeit über im Hintergrund das Geschehen beobachtet hat und über die unerwartete Wendung in Margarethes Verhalten eine verwunderte aber auch eine bewundernde Mimik gezeigt hat, kommt aus dem Hintergrund hervor.   
Mephistopheles   
Auf! oder ihr seid verloren.
 
Margarethe ergreift eine wilde Wut bei seinem Anblick und sie schreit Faust zu:
 
Margarethe
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schicke ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!
 
Das Auftreten Mephistopheles löst in Margarethe panische Angst aus. Lieber tot als mit diesem Geschöpf zusammen. Während der nächsten Worte handelt sie mit äußerster Konsequenz und zielsicherer Schnelligkeit, die zeigt, welche Entwicklung sie durchgemacht hat. Sie ist reif geworden, hat eine seelische Größe erreicht, die Faust erst kurz vor seinem Ende als Greis erreichen, nein erahnen, wird.
Sie entreißt Faust den Schlüssel für die Handschellen, läuft auf das Kruzifix zu, legt ihre rechte Hand in die Handschelle, schließt diese mit der linken Hand zu und wiederholt das gleiche, wenn auch wesentlich beschwerlicher mit der anderen Hand. Sie dreht sich um und sieht, dass Faust von Mephistopheles am Eingreifen gehindert wird. Sie zieht den noch in der linken Handschelle steckenden Schlüssel heraus und wirft ihn weit von sich. Man hört, wie er eine lange Treppe herunterfällt und liegen bleibt.
Mephistopheles und Panthyrann machen Gebärden des Erstaunens. Beide zeigen sich betroffen über Margarethes Verhalten, mit welcher Konsequenz und Tapferkeit sie sich ihrem Schicksal ergibt. Mephistopheles spürt kein Mitleid, dazu ist er viel zu viel Teufel. Nein, er entdeckt eine menschliche Eigenart, die ihm eine Hochachtung vor dem eigentlich verachtungswürdigen Menschengeschlecht, mehr noch vor dem Tatbestand, dass es eine Frau ist, ablockt. Der Teufel entdeckt das Menschliche - das macht ihn über sich selbst staunen.
Margarethe kniet wie zu Beginn der Szene, am Kruzifix. Sie steht selbstbewusst, aufrecht, hat ihre Hände nach oben gerichtet, die Füße des Kruzifixes umarmend. Sie schaut nach oben.
 
Margarethe
Gericht Gottes! dir hab ich mich übergeben!
 
Mephistopheles   
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.
 
Margarethe dreht sich langsam nach Faust um. Voller Abscheu und Verachtung schreit sie ihn an.
 
Margarethe
Heinrich! Mir graut`s vor dir!
 
Mephistopheles drängt Faust zum Gehen und spricht mit beiläufigem Tonfall.
 
Mephistopheles   
Sie ist gerichtet!
 
Beide eilen davon, lassen das Tor offen. Faust bleibt in dem am Boden liegenden Umhang Margarethes hängen. Anstatt ihn zu nehmen und der zitternden Margarethe umzuhängen, stößt er ihn achtlos mit dem Fuß fort. Margarethe hatte sich zuvor umgewendet und sieht Faust dabei zu – und gibt laut und deutlich, ja trotzig mit einem deutlichen Unterton von Abscheu Antwort auf die Bemerkung Mephistopheles`.
 
Margarethe
Ist gerettet!
 
Faust läuft ohne sich umzuschauen auf den Steg und entfernt sich durch den Zuschauerraum. Mephistopheles folgt ihm, wendet sich aber um, läuft zu Margarethe zurück und legt ihr den Umhang über die Schultern. Faust bemerkt diese Geste nicht. Ob Margarethe spürt, wer sie mit dem wärmenden Stoff umhüllt hat, sei dahin gestellt.
Diese Szene bleibt einige Sekunden wie erstarrt stehen. Währenddessen erklingt sehr leise das Gretchenmotiv aus G. Mahlers 8.Sinfonie („Neige, neige .........").
Margarethe schaut auf und sieht in Richtung Fausts Abgang und lässt sich kraftlos in die Ketten  fallen. Sehr leise kommen aus ihr die letzten Worte:
 
Margarethe
Heinrich! Heinrich!
 
Szenenbild 04
Die Beleuchtung wird reduziert. Während dieses Dunkelwerdens wird ein Intermezzo angefügt.
Das alte Paar Baucis und Philemon kommt, gebückt, sich gegenseitig stützend, aus dem Dunkel der rechten Seitenbühne und geht langsam über die Bühne. Baucis hält einen Strauß Rosen im Arm, Philemon einen Korb mit Obst und Gemüse.
Im Vorübergehen sehen sie Margarethe in den Fesseln hängen. Baucis bleibt stehen und hält Philemon am Arm fest, auf die Gefesselte zeigend, an. Die alte Frau geht auf die Gefesselte zu, bleibt mit der Geste einer Lauschenden stehen und streicht sanft mit der rechten Hand Margarethe über den Kopf. Margarethe spürt diese Berührung nicht.
Baucis zieht eine Rose aus ihrem Strauß und steckt sie vorsichtig in die Kettenglieder dicht über der linken Hand Margarethes.
Wie zum Abschied küsst Baucis den Kopf Margarethes, wendet sich und geht zu  ihrem Gatten, der seiner Frau zufrieden lächelnd zugeschaut  hat, zurück. Er empfindet größte Genugtuung beim Anblick der Güte, der seine Frau  fähig ist.
Mater Agape kommt ihnen entgegen ohne dass die beiden Alten die Erscheinung bemerken können. Im Vorbeigehen verbeugt  sich Mater Agape vor dem Paar und weist damit darauf hin, dass es in der Inszenierung der beiden Akteure Mephistopheles und Panthyrann nur drei Personen gibt, das sind Margarethe, Philemon und Baucis (nicht zu vergessen ist der Wanderer), die wahre menschliche Größe zeigen.
Philemon dreht sich einmal zögernd nach Margarethe um und wischt sich Tränen aus den Augen. Es ist wie ein Traum, ein Traum von elterlicher Sorge und Zuwendung, der voller Rührung ist.
Die gesamte Bühne verdunkelt sich endgültig und die Szene ist beendet.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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