Die Bilder „09 Auerbachs
Keller“, „10 OP - Saal“ und „11 Kirchplatz“ werden zu einem Szenenablauf
zusammengefasst, gehen ineinander über.
Noch bevor sich der Vorhang
langsam öffnet, weist eine Geräuschkulisse auf Bahnhofsatmosphäre hin. Ein
herannahender Zug und Großstadtgeräusche, Bremsen haltender Züge quietschen.
Undeutliche Lautsprecheransagen. Abfahren eines Zuges. Alle Geräusche machen
deutlich, dass die Reise in das Ende des 20. Jahrhunderts geht. Für einen
Moment ist Stille. Auf den Kubenwänden entsteht der Leipziger Hauptbahnhof.
Von Ferne naht ein Zug -
Bremsen quietschen schmerzhaft. Die Bronzeplastik, deren Original vor dem Eingang
des „Auerbachs Keller“ in Leipzig steht, wird auf eine Projektionsfläche vor
den Kuben projiziert.
Der große Brunnen, hinter
dem sich vier Saufkumpane noch unsichtbar aufhalten, wird beleuchtet. Aus der
Wasseröffnung läuft ein spärlicher Wasserstrahl. Ein Schild mit der Aufschrift
KEIN TRINKWASSER.
Mephistopheles und Faust
treten zwischen den beiden linken Kuben hervor und laufen zum linken
Bühnenrand, drehen sich um, entdecken den Brunnen, an dem sich vier Männer
postiert haben. Diese stehen bzw. sitzen an der Brunnenwand, haben mehrere
Weinflaschen und Becher auf die Brunnenbrüstung gestellt und trinken. Nüchtern
sind sie nicht mehr.
Faust drängt Mephistopheles
zum Umkehren. Ihm ist der Anblick der jungen Männer unangenehm und er macht
eine entsprechend verächtliche Handbewegung und hindert Mephistopheles am
Weitergehen. Mephistopheles hält Faust gewaltsam fest. Noch stehen beide
abseits und unbemerkt von den Männern, die zu grölen beginnen.
Frosch
Es
war eine Ratt` im Kellernest,
Lebte
nur von Fett und Butter,
Hatte
sich ein Ränzlein angemäst`t
Als
wie der Doktor Luther.
Die
Köchin hatt` ihr Gift gestellt;
Da
ward`s so eng ihr in der Welt,
Als
hätte sie Lieb im Leibe.
Chorus
Als
hätte sie Lieb im Leibe!
Brander
Sie
fuhr herum, sie fuhr heraus
Und
soff aus allen Pfützen,
Brander
nimmt einen langen Schluck aus einer Weinflasche, stellt sie ungeschickt zurück
auf den Brunnenrand, so dass sie in den Brunnen fällt. Er macht eine fluchende
Gebärde und vergisst darüber, weiter zu singen. Jetzt erst bemerken die Vier,
dass sie nicht allein sind, sondern schon länger beobachtet werden. Das macht
sie unsicher. Soll man die beiden Fremden, höchst eigenartig aussehenden
Gestalten an sich herankommen lassen oder sofort auf Konfrontation gehen? Mephistopheles zu Faust:
Mephistopheles
Ich muss dich nun vor allen
Dingen
In lustige Gesellschaft bringen
Brander
Die kommen eben von der Reise,
Man sieht`s an ihrer wunderlichen Weise.
Siebel drängt Frosch einige
Schritte zur Seite und fragt leise:
Siebel
Für was siehst du die
Fremden an?
Frosch
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
Brander und Altmeyer setzen
sich provokativ auf den Rand des Brunnens.
Brander
Marktschreier sind`s
gewiss, ich wette!
Altmayer
Vielleicht.
Frosch
Gib acht, ich schraube sie!
Mephistopheles
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie beim Kragen
hätte.
Nun übernimmt Faust die
Initiative und beginnt das Gespräch, denn er hat gemerkt, dass er an der
Bekanntschaft mit dieser unangenehmen Saufbrüderschaft nicht vorbeikommt.
Faust
Seid uns gegrüßt, ihr
Herrn!
Mephistopheles
Ist es erlaubt, uns auch zu
euch zu setzen?
Mephistopheles dreht von
seinem Stockschirm den Griff ab und verwendet den Schirm als Trinkrohr, indem
er die Schirmspitze
in den Brunnen steckt, mit
dem ersten Zug das Rohr spült, und die Wasserladung in hohem Bogen in den
Brunnen zurück spritzt. Die nächste Füllung schluckt er genießerisch hinunter.
Das erweckt die gewünschte Aufmerksamkeit.
Altmeyer
Da hast du`s! Der
versteht`s!
Siebel
Ein pfiffiger Patron!
Frosch
Nun, warte nur, ich krieg` ihn schon!
Mephistopheles
Wenn ich nicht irrte,
hörten wir
Geübte Stimmen Chorus
singen?
Damit hat Mephistopheles
die Gesprächsführung übernommen.
Altmayer
Gebt uns ein Lied!
Mephistopheles
Wenn ihr begehrt, die
Menge.
Mephistopheles beginnt zu
singen, wird aber nach drei Zeilen ausgepfiffen und muss aufgeben.
Mephistopheles
Es war einmal ein König,
Den liebt` er gar nicht
wenig,
Der hatt` einen großen
Floh,
Altmeyer ist wiederum die Leitperson und wechselt
provokativ das Thema:
Altmayer
Es lebe die Freiheit! Es
lebe der Wein!
Mephistopheles muss endlich
die Situation in den Griff bekommen und startet einen nächsten Versuch, an die
Kerle heranzukommen
Mephistopheles
Ich tränke gern ein Glas,
die Freiheit hoch zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein
bisschen besser wären.
Siebel
Wir mögen das nicht wieder
hören!
Mephistopheles
Ich fürchte nur, der Wirt
beschwert sich;
Sonst gäb` ich diesen
werten Gästen
Aus unserm Keller was zum
besten.
Siebel
Nur immer her! Ich nehm`s
auf mich.
Mephistopheles geht auf den
Brunnen zu, beugt sich unter den vor sich hin kleckernden Wasserstrahl,
begutachtet die Öffnung des Auslaufrohres, nickt vielsagend mit dem Kopf und
winkt Faust zu sich. Mephistopheles lässt seine rechte Hand mit dem dünnen
Wasserstrahl spielen.
Frosch
Wie meint ihr das? Habt Ihr
so mancherlei?
Mephistopheles
Ich stell es einem jeden
frei.
Die Vier kommen langsam,
höchst ungläubig zu Mephistopheles und stellen sich an der rechten Brunnenseite
auf. Mephistopheles beugt sich wieder zum Wasserstrahl und murmelt einen Vers
mit der Gebärde, die an das Melken einer Kuh erinnert. Einer der Vier sieht das
und beginnt ein mörderisches Gekicher. Mephistopheles schaut verärgert zu ihm
hinüber.
Mephistopheles
Trauben trägt der
Weinstock!
Ein tiefer Blick in die
Natur!
Hier ist ein Wunder,
glaubet nur!
Plötzlich erscheint der
Wasserstrahl wie aufgedreht, das Wasser fließt mit vollem Strahl, wird gelb,
scheint eigenes Licht auszusenden. Mephistopheles füllt ein Glas und reicht es
Frosch. Die Vier sind plötzlich völlig nüchtern und beginnen, die Ärmel hoch zu
krempeln, denn sie erwarten, gleich auf Mephistopheles losprügeln zu können,
wenn der Spuk auffliegen wird.
Mephistopheles
Nur hütet euch, dass ihr
mir nichts vergießt!
Frosch kostet skeptisch
einen kleinen Schluck, prüft nochmals ungläubig, indem er den Wein mit
geschlossenem Mund wie bei einer Mundspülung bis in den letzten Winkel seiner
Geschmacksnerven presst, schluckt herunter und beginnt über das ganze Gesicht
mit versoffener Miene genießerisch zu grinsen. Der Frust und die
Prügelbereitschaft sind verschwunden. Frosch fordert mit wüsten Gebärden die
anderen auf, sich ebenfalls einschenken zu lassen. Sie lassen sich die Gläser
füllen und trinken ein Glas nach dem anderen. Sie lassen sich voll laufen und
nach wenigen Sekunden gebärden sie sich wie die Wilden, grölen und schreien:
Alle
Uns ist ganz kannibalisch
wohl,
Als wie fünfhundert Säuen!
Mephistopheles nimmt Faust
zur Seite und raunt ihm zu:
Mephistopheles
Das Volk ist frei, seht an,
wie wohl`s ihm geht!
Faust
Ich hätte Lust, nun
abzufahren.
Mephistopheles
Gib nur erst acht, die
Bestialität
Wird sich gar herrlich
offenbaren.
Szenenbild 02
Die Vier benehmen sich wie
die Irren, spritzen sich voll, einer hängt über dem Brunnenrand und beginnt aus
dem Brunnen Wasser zu schlürfen im Glauben, es müsste ebenfalls Wein sein.
Einer sitzt auf dem Brunnenrand und sabbert vor sich hin. Ein anderer hat sich
bereits zur Ruhe gelegt und beginnt zu schnarchen. Siebel hält seinen Daumen
unter den Wasserhahn und zielt mit dem Strahl auf Mephistopheles.
Mephistopheles wird nass, flucht und macht eine gezielte Handbewegung in
Richtung Brunnen. Daraufhin beginnt der gesamte Brunnen wie ein Fonduetopf, der
Feuer gefangen hat, zu brennen. Die drei noch Reaktionsfähigen schreien
erschrocken durcheinander. Mephistopheles hält seinen Schirm über das Wasser,
bläst hinein und eine riesige Stichflamme lodert auf.
Siebel
Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!
Mephistopheles
Sei ruhig, freundlich
Element!
Für diesmal war es nur ein
Tropfen Fegefeuer.
Siebel
Wart! Ihr bezahlt es teuer!
Mephistopheles
Still, altes Weinfass!
Siebel
Besenstiel!
Du willst uns gar noch grob
begegnen?
Brander
Wart` nur, es sollen
Schläge regnen!
Altmayer
Ich brenne! Ich brenne!
Siebel
Zauberei!
Stoßt zu! Der Kerl ist
vogelfrei!
Szenenbild 03
Sie torkeln zurück und
rütteln den Schnarchenden wach, der aber völlig besoffen nur seine Stellung
wechselt und die Tonlage seines Schnarchens ändert. Mephistopheles spricht in
Richtung Brunnen ohne jede Ekstase:
Mephistopheles
Falsch Gebild und Wort
Verändern Sinn und Ort!
Seid hier und dort!
Szenenbild 04
Mephistopheles nimmt Faust
am Arm und verlässt mit ihm den Platz. Alle Vier sind so besoffen, dass sie
erst einmal auf dem Pflaster liegen bleiben. Mephistopheles und Faust verschwinden
zwischen den beiden Kuben, durch die sie die Bühne betreten haben.
Szenenbild 05
Während es auf der Bühne
dunkler wird, versuchen die vier Männer, sich aufzuraffen. Es gelingt nur
Frosch und Siebel. Sie schleppen sich zu dem wieder sehr spärlich tröpfelnden
Wasserstahl. Sie beugen sich über den Rand und sind verärgert, dass alles
Betrug war. Sie torkeln, die beiden anderen mitnehmend von der Bühne.
Bühne wird völlig dunkel.
Das spöttische Gelächter Mephistopheles` ist mit Nachhall aus der Ferne zu
hören, während die Bühne sich zur „Hexenküche“ verwandelt.