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Faust 2015 > Ebene 16 Erste Begenung
16 Erste Begegnung
 
Der grüne Bühnenboden wird mittig durch einen angedeuteten Graben zweigeteilt. Im Hintergrund ist verschwommen die Stadtkulisse mit dem bekannten Kirchenmotiv zusehen. Das Kreuz schwebt in hellen Blautönen über der Landschaft und stellt in dem Liebesidyll keine Bedrohung dar. Rechts ist der Garten Frau Marthes angedeutet. Die Bank steht vor einem Rosenspalier.
Die linke Bühnenhälfte ist eine durchgehende grüne Fläche. Einen Streifen blühender weißer Margeriten hinter dem verliebten Paar. Abwechselnd werden die Dialoge gesprochen. Faust und Margarethe kommen während der ersten Verszeilen Hand in Hand auf die linke Bühnehälfte.
Margarethe
Ich fühl es wohl, dass mich der Herr nur schont,
Herab sich lässt, mich zu beschämen.
Ich weiß zu gut, dass solch erfahr`nen Mann
Mein arm Gepräch nicht unterhalten kann.
 
Faust
Ein Blick von dir, ein Wort mehr unterhält
Als alle Weisheit dieser Welt.
 
Er nimmt ihre Hände und küsst eine nach der anderen, während sie ihm lächelnd zuschaut. Wie zum Dank wirft sie ihre Arme um seinen Hals und gibt ihm freimutig einen etwas scheuen Kuss auf die Wange.
 
Margarethe
Wie könnt Ihr sie küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh!
 
Sie finden auf der Wiese einen Platz und setzen sich in das Gras. Sie reden unhörbar weiter, neckende Zärtlichkeiten austauschend, während auf der zweiten Bühnenhälfte das andere Paar, Mephistopheles und Marthe eingetroffen sind. Diese beiden haben auf der Bank in gebührendem Abstand voneinander, den auffällig Mephistopheles bestimmt hat, Platz genommen. Sie beginnen mit der sehr steifen Konversation.           
 
Marthe
Und Ihr, mein Herr, Ihr reist so immer fort?
 
Mephistopheles
Ach, da Gewerb und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wieviel Schmerz verlässt man manchen Ort
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
 
Marthe
In raschen Jahren geht`s wohl an,
So um und um frei durch die Welt zu streifen;
Doch kommt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen,
Das hat noch keinem wohlgetan.
 
Mephistopheles
Mit Grausen seh ich das von weiten.
 
Während dieses Gespräches hat sich das verliebte Pärchen weiter gemütlich gemacht. Sie spielen, während die beiden anderen reden, mit einem kleinen Käfer, den sie von Grashalm zu Grashalm führen. Der Käfer fliegt davon und sie können die Unterhaltung fortführen.
 
Margarethe
Du hast der Freunde häufig,
Sie sind verständiger, als ich bin.
 
Faust
O Beste! glaube, was man so verständig nennt,
Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.
 
Margarethe
Wie?
 
Faust
Ach, dass die Einfalt, dass die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil`gen Wert erkennt!
Dass Demut, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
Der liebevoll austeilenden Natur -
 
Margarethe
Denkst du an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an dich zu denken haben.
 
Faust
Du bist wohl viel allein?
 
Margarethe
Ja, unsre Wirtschaft ist nur klein,
Und doch will sie versehen sein.
Meine Mutter ist in allen Stücken
So akkurat!
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
Doch hab ich jetzt so ziemlich stille Tage:
Mein Bruder ist Soldat,
Mein Schwesterchen ist tot.
Ich hatte mit dem Kind so meine liebe Not;
Doch übernähm ich gern noch einmal alle Plage,
So lieb war mir das Kind.
 
Faust
Ein Engel, wenn dir`s glich!
 
Margarethe
Ich zog es auf, und herzlich liebt`es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren;
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie sie damals lag,
Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
Da konnte sie nun nicht dran denken,
Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich`s ganz allein,
Mit Milch und Wasser: so war`s mein.
Auf meinem Arm, in meinem Schoß
War`s freundlich, zappelte, ward groß.
 
Faust
Du hast gewiss das reinste Glück empfunden.
 
Margarethe
Doch auch gewiss gar manche schwere Stunden.
Des Kleinen Wiege stand zur Nacht
An meinem Bett: es durfte kaum sich regen,
War ich erwacht;
Da geht`s, mein Herr, nicht immer mutig zu;
Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
 
 
Während des vergangenen recht langen Dialoges des jungen Paares haben sich Frau Marthe und ihr Partner mit Annäherungsversuchen und entsprechenden Abwehrmanövern die Zeit vertrieben. Frau Marthe versucht mit einem Angriff nach dem anderen, den galanten aber aalglatten Herrn für sich zu gewinnen. Jedes Mal, wenn sie auf der Bank ein Stückchen näher zu ihm rückt, versucht er, sich möglichst unauffällig um die gleiche Strecke von ihr zu entfernen. Die Komik dieser Bewegungen ist offensichtlich, zumal die Bank ein Ende hat und wenn man bereits halb auf dem äußersten Rand sitzt, gibt es keinen Ausweg mehr. Marthe stichelt und möchte gern den Boden fruchtbar machen für ein Gespräch über mögliche Intimitäten.
 
Marthe
Sagt grad, mein Herr: habt Ihr noch nichts gefunden?
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
Ich meine: ob Ihr niemals Lust bekommen?
 
Mephistopheles
Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.
 
Marthe
Ich wollte sagen: ward`s nie Ernst in Eurem Herzen?
 
Mephistopheles
Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.
 
Marthe
Ach, Ihr versteht mich nicht!
 
Mephistopheles
Das tut mir herzlich leid!
Doch ich versteh - dass Ihr sehr gütig seid.
 
Die beiden im Grase Liegenden turteln weiter. Sie liegt auf dem Rücken, er beugt sich, auf den Ellenbogen gestützt, über sie.
 
Faust
Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?
 
Margarethe
Sahst du es nicht? ich schlug die Augen nieder.
 
Faust
Und du verzeihst die Freiheit, die ich nahm?
Was sich die Frechheit unterfangen,
Als du jüngst aus dem Dom gegangen?
 
Margarethe
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
Es konnte niemand Übels von mir sagen.
Ach, dacht ich, hat er in deinem Betragen
Was Freches, Unanständiges gesehn?
Ich war recht bös auf mich,
Dass ich auf dich nicht böser werden konnte.
 
Faust
Süß Liebchen!
 
Margarethe sieht die Pracht der weißen Margeriten, dreht sich um, greift nach einer Blüte und reißt sie ab. Er richtet sich währenddessen auf und beobachtend sie. Sie setzt sich mit der Blume in der Hand neben ihn, lässt die Blüte liebevoll durch ihre halbgeschlossenen Hand gleiten als wenn sie sich dafür entschuldigen möchte, dass sie die Blüte gleich wird leiden lassen, und beginnt, ein Blütenblatt nach dem anderen abzurupfen und murmelt leise vor sich hin: 
 
Margarethe
Er liebt mich - Er liebt mich nicht -  
 
Und so weiter. Faust legt wieder zärtlich seinen Arm um ihre Schultern und beobachtet ihr Spiel, nach kurzer Zeit instinktiv mit murmelnd, sich aber vorsichtshalber die passenden Worte zurechtlegend für den Fall, dass das Orakel schlecht für sie beide ausgeht. Denn dann muss er dem Ergebnis eine Wende geben, die alles wieder gut macht und dem süßen Aberglauben keine Chance lässt.
 
Faust
Wie?
 
Margarethe
Du lachst mich aus.
 
Faust
Was murmelst du?
 
Margarethe
Er liebt mich - liebt mich nicht -
 
Faust
Du holdes Himmelsangesicht!
 
Margarethe
Liebt mich - nicht - liebt mich - nicht -
 
Die Blume hat noch ein einziges Blatt. Sie lehnt sich an seine Brust und sieht ihn fragend an, in dem sie das Ende des Spieles verkündet:
 
 
Margarethe
Er liebt mich!
 
Faust
Ja, mein Kind! Lass dieses Blumenwort
Dir Götterausspruch sein! Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
 
Er fasst ihre Hände und drückt ihren Körper sanft in das Gras, lehnt sich über sie und streichelt ihr über den Kopf. Ganz leise kommen aus Margarethe die Worte:
 
Margarethe
Mich überläuft`s!
 
Faust bleibt weiter über ihr und streicht ihr wieder und wieder zärtlich über Haar und Gesicht.
 
Faust
O schaudre nicht! Lass diesen Blick,
Lass diesen Händedruck dir sagen,
Was unaussprechlich ist.
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig sein muss!
Ewig! - Ihr Ende würde Verzweiflung sein
Nein! kein Ende! kein Ende!
 
Bühnenmusik (instrumental) sehr leise. “Wo die schönen Trompeten blasen“  aus den Wunderhornliedern G. Mahlers bis zum Ende des Bildes.
Panthyrann erscheint im Hintergrund nahe des Rosenspaliers in Marthes Garten und bricht eine der im Aufblühen begriffenen Rose ab und geht damit in Richtung des verliebten Paares, übersteigt den Graben und entwickelt in Margarethe und Faust einen Traum – ein kleines Intermezzo. Die Rose legt er unbemerkt zwischen beide und zieht sich wieder zurück.
Die Rose vervielfältigt sich und aus dem Gras sprießen unzählige Rosen hervor. Analog des Intermezzos Szene „20 Der Rosentraum“ hebt sich die Flächen auf der beide, nun in Rosen gebettet, empor und lässt sie über dem Gras schweben.
Mephistopheles sieht das schwebende Lager von weitem und schmunzelt. Marthe sitzt etwas breitbeinig auf der Bank, bezieht das Lächeln auf sich und ist umso enttäuschter, dass ein Herankommen an Mephistopheles unmöglich ist. Sie hält ihren Kopf mit den Händen unter dem Kinn, die Ellenbogen auf den Knien abstützend und starrt unwillig in die Leere - in die Gefühlsleere eines Teufels.
Faust und Margarethe sind wieder im Gras gelandet. Das Rosenlager hat sich durch Zauberkräfte verflüchtigt und nur die eine von Panthyrann zwischen das Paar gelegte Rose bleibt liegen. Der linke Teil der Bühne verliert sich mit dieser Verwandlung im Dunkel und auf der anderen Seite gibt Marthe endgültig auf - zumindest für den heutigen Tag.
 
Marthe
Die Nacht bricht an.
 
Mephistopheles
Ja, und wir wollen fort.
 
Marthe
Ich bät Euch, länger hier zu bleiben;
 
Panthyrann, der nach dem Verschwinden des Liebespaares auf seinem Standort partiell angeleuchtet steht, blickt hinüber zu Mephistopheles und wiegt mit zufriedenem Gesichtsausdruck ein nicht vorhandenes Baby in seinem Arm. Als Antwort droht ihm Mephistopheles scherzhaft mit dem gehobenen Zeigefinger. Panthyrann verschwindet im Dunkel und die beiden gehen von der Bühne. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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