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Faust 2015 > Ebene 27 Thronsaal desKaisers
27 Thronsaal des Kaisers
 
Der Thronsessel ist mit Tüchern verhängt, da das Reich derart verarmt ist, dass die Dienerschaft entlassen und der Prunk auf ein Minimum reduziert werden musste.
Der Kaiser sitzt mit dem Rücken zum Theaterpublikum auf einem einfachen Regiestuhl. Um seiner Person wenigstens den Anschein von Amt, Macht und Würde zu verleihen, überträgt man sein Portrait filmisch in einen Stuckbilderrahmen, der provisorisch  oberhalb des Thrones aufgehängt wurde. Das hat zu Folge, dass der Kaiser ebenso wie die noch verbliebenen Minister frontal zum Theaterpublikum gerichtet sichtbar  sind. Die Minister treten als lebensgroße Marionetten auf.
Während der gesprochenen Verszeilen werden in die großen Stuckspiegel aktuelle Motive eingeblendet. Diese Motive sollten stets eine drohende Staatspleite zum Hintergrund haben, denn diese abzuwenden, ist der Inhalt der Szene.
Im Beispiel ist es die Akropolis – die drohende Staatspleite Griechenlands symbolisierend. Auf allen sechs Spiegeln läuft synchron der gleiche Film ab.
Mephistopheles kommt über die kleine Treppe vom Krankenzimmer Fausts hinter dem Regiestuhl des Kaisers auf die Bühne, die Minister in Marionettenkostümen in strenger Ordnung im Gänsemarsch und Gleichschritt.
Kaiser
Ich grüße die Getreuen, Lieben,                                            
Allein wo ist der Narr geblieben?
 
Die erste Marionette tritt behäbig einen Schritt vor und sprudelt ihren Text ab. Die zu hohe Stimme schnarrt unangenehm.         
 
Junker
Gleich hinter deiner Mantelschleppe
Stürzt`er zusammen auf der Treppe;
Man trug hinweg das Fettgewicht,
Tot oder trunken? weiß man nicht.
 
Mephistopheles geht direkt auf den Kaiser zu, verneigt sich ehrerbietig und kniet nieder. Der zweite Junker kommentiert zeitgleich die Ankunft des neuen Narren (Mephistopheles), indem er seinen Vorredner mit der linken Hand auf die Schulter greift und ihn mit sanfter Gewalt zurück in seinen Stuhl drückt. Er ist mehr Gentleman als der erste und beginnt mit spontaner Begeisterung den Neuangekommenen vorzustellen. Die sonore Stimme des zweiten Junker hat absolut nichts Lächerliches.
 
Zweiter Junker
Sogleich mit wunderbarer Schnelle
Drängt sich ein andrer an die Stelle.         
Gar köstlich ist er aufgeputzt!
 
Mephistopheles verneigt sich nochmals mit überspitzter Verbeugung. Seine folgende Begrüßungsrede spult er ab, als wären sie bar jeder Interpunktion.
 
Mephistopheles 
Was ist erwünscht und stets willkommen?
Was ist ersehnt und stets verjagt?
 
Die ersten Sympathien hat sich der Neue im Narrenkostüm schon ersprochen, denn der Kaiser krümmt den Zeigefinger seiner rechten Hand auffällig zum Haken und zieht Mephistopheles durch entsprechende Bewegung gebieterisch zu sich, bis dieser sein Ohr vor des Königs Mund postiert hat. In verrenkter Haltung steht er da, darf sich nicht an der Armlehne des Thrones abstützen und hofft auf schnelle Befreiung aus dieser misslichen unbequemen Stellung. Der Kaiser erkennt die verkrampfte Körperlage seines neuen Domestiken und, so hofft er, auch neuen Unterhalter und geistig regen Gesprächspartner für alle Situationen, lässt ihn aber getrost noch eine Weile zappeln, indem er sorgfältig die Worte sucht und sie noch sorgfältiger über die dürren ausgetrockneten Lippen schickt.
 
Kaiser
Für diesmal spare deine Worte!
Hier sind die Rätsel nicht am Orte,
Mein alter Narr ging, fürcht ich, weit ins Weite;
Nimm seinen Platz und komm an meine Seite!
 
Mephistopheles hängt etwas blöd in seiner Zwangsstellung. Erleichtert schaut er auf, als der Kaiser ihm mit einem Wink zu verstehen gibt, dass er sich wieder in Normallage, aber dicht neben dem Thron, zu stellen hat.
 
Gemurmel der Menge
Ein neuer Narr - Zu neuer Pein -
Wo kommt er her? - Wie kam er ein?-
Der alte fiel - Der hat vertan -
Es war ein Fass - Nun ist`s ein Span -
 
Der Kaiser beendet das Gemurmel, indem er ein zweites Mal zur Begrüßungsrede ansetzt. Man ist wieder vollzählig, wenn auch mit veränderter Besetzung und somit kann die Ratsbesprechung eröffnet werde. Sein sehnlichster Wunsch ist, diese zügig und ohne viele Kommentare zum Abschluss zu bringen. Seine Aussprache hat einen sehr weinerlichen Ton. Er muss den Höflingen seinen Unwillen mit aller Deutlichkeit vermitteln.
 
 
Kaiser
Und also, ihr Getreuen, Lieben,
Willkommen aus der Näh und Ferne!
Doch sagt, warum in diesen Tagen,                   
Warum wir uns ratschlagend quälen sollten!
Doch weil ihr meint, es ging` nicht anders an,
Geschehen ist`s, so sei`s getan.                                   
Der Kanzler nimmt die Antwort auf sich. 
 
Kanzler
Die höchste Tugend, wie ein Heiligenschein,
Umgibt des Kaisers Haupt, nur er allein
Vermag sie gültig auszuüben:
Gerechtigkeit! -
Wenn`s fieberhaft durchaus im Staate wütet
Und Übel sich in Übeln überbrütet,
Der raubt sich Herden, der ein Weib,
Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare.
Berühmt sich dessen manche Jahre.
Ein Richter, der nicht strafen kann,
Gesellt sich endlich zum Verbrecher.
 
Der Kanzler lässt ein tiefes Seufzen vernehmen, verneigt sich und lässt sich vom Kaiser mit leicht unterwürfiger Gebärde auf seinen Platz verweisen. Der Heermeister ist nun an der Reihe, seinen Bericht abzugeben. Was da auf die Ohren des Kaisers treffen soll, ist weitaus schlimmer und deutlicher als das bisherige. 
 
Heermeister         
Wie tobt`s in diesen wilden Tagen!
Ein jeder schlägt und wird erschlagen,
Und fürs Kommando bleibt man taub.
Der Mietsoldat wird ungeduldig,
Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn,
Und wären wir ihm nichts mehr schuldig,
Er liefe ganz und gar davon.
Doch keiner denkt, es ging` ihn irgend an.
 
Der Kaiser reagiert äußert barsch auf seine Rede und ist außer sich vor Ärger, ja, er springt auf und weist ihn unter Androhung von Strafe in seinen Stuhl zurück.
 
Schatzmeister
Auch, Herr, in deinen weiten Staaten
An wen ist der Besitz geraten?
Wir haben soviel Rechte hingegeben,       
Dass uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt.
Auch auf Parteien, wie sie heißen,
Ist heutzutage kein Verlass;
Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb und Hass.         
Wer jetzt will seinem Nachbarn helfen?   
Ein jeder hat für sich zu tun.
 
Der Marschalk ist sich seiner besseren Stellung vor dem Blick der Kaisers bewusst. Aber ihn hat er schon manches Mal wohlwollend ausreden lassen. Außerdem ist ihm eine List eingefallen. Was macht der Hohe Herr, wenn der Wein so weit verdünnt werden muss, dass es bemerkt wird. Hier ist die empfindlichste Stelle des Kaisers, dessen Kehle immer trocken ist, getroffen.
 
Marschalk  
Welch Unheil muss auch ich erfahren!
Wir wollen alle Tage sparen
Und brauchen alle Tage mehr,
Und täglich wächst mir neue Pein.
Die Deputate, sich`re Renten,                   
Sie gehen noch so ziemlich ein;
Jedoch am Ende fehlt`s am Wein.
 
Kaiser
Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Not?
 
Betont kriecherisch pariert Mephistopheles.
 
Mephistopheles 
Ich keineswegs. Den Glanz umher zu schauen,  
Dich und die deinen!
Was könnte da zum Unheil sich vereinen,
Zur Finsternis, wo solche Sterne scheinen?
 
Gemurmel
Das ist ein Schalk – Der`s wohl versteht -                            
Er lügt sich ein - Solang es geht -
Ich weiß schon - Was dahinter steckt -
Und was denn weiter - Ein Projekt -         
 
Mephistopheles 
Wo fehlt`s nicht irgendwo auf dieser Welt?
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
Und fragt ihr mich, wer es zu Tage schafft:
Begabten Manns Natur - und Geisteskraft.        
 
Die letzten beiden Worte hat er mit provokativem Unterton zum Kanzler gesprochen.
 
Kanzler
Natur und Geist - so spricht man nicht zu Christen.
Deshalb verbrennt man Atheisten,
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
Natur ist Sünde. Geist ist Teufel,                                         
Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
Ihr missgestaltet Zwitterkind.
Die Heiligen sind es und die Ritter;          
Nehmen Kirch und Staat zum Lohn.
Die Ketzer sind`s! die Hexenmeister!
Und sie verderben Stadt und Land.
Die willst du nun mit frechen Scherzen
In diese hohen Kreise schwärzen;    
 
Mephistopheles 
Daran erkenn ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht!
 
Kaiser
Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt;
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?    
Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn!
 
Mephistopheles 
Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer.
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,
Das ist die Kunst! Wer weiß, es anzufangen?
Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,
Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte.
So war`s von je in mächtiger Römerzeit,
Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
Das alles liegt im Boden still begraben;
Der Boden ist des Kaisers, der soll`s haben.       
 
Schatzmeister
Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht;
Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.
 
Kanzler
Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen:
Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.
 
Marschalk  
Schafft` er uns nur zu Hof willkommne Gaben,
Ich wollte gern ein bisschen Unrecht haben.
 
Heermeister         
Der Narr ist klug, verspricht, was jedem frommt;
Fragt der Soldat doch nicht, woher es kommt,
 
Mephistopheles 
Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen:
Hier steht ein Mann! Da, fragt den Astrologen!
In Kreis`um Kreise kennt er Stund und Haus.   
So sage denn: wie sieht`s am Himmel aus?
 
Gemurmel aus allen Richtungen wie zuvor.
 
Gemurmel
Zwei Schelme sind`s - Verstehn sich schon -
Narr und Phantast - So nah dem Thron -
Ein mattgesungen - Alt Gedicht -
Der Tor bläst ein - Der Weise spricht -     
 
Mephistopheles geht zum abwesend wirkenden greisen Astrologen und stellt sich so, dass er diesem ins Ohr flüstern kann, allerdings so laut, dass nicht nur der Kaiser mit seinen Ministern, sondern auch das Publikum die Astrologentexte „doppelt“ hört.
Mephistopheles weiß das und ein lautes Schnippen mit den Fingern startet die nächste Filmprojektion. Auf allen sechs Spiegeln erscheint der Kopf von Karl Marx. Ein nochmaliges Schnippen lässt im Boden vor dem Kaiserthron ein Buch entstehen Das Buch wächst und auf seinem Einband entwickelt sich der gold leuchtende Schriftzug "DAS KAPITAL". Welch einen Scherz hat sich Mephistopheles erlaubt! Der Astrolog richtet sich mühsam auf und wendet sich Mephistopheles zu.
 
Astrolog     
Die Sonne selbst, sie ist ein laut`res Gold:
Paläste, Gärten, Brüstlein, rote Wangen,
Das alle schafft der hochgelahrte Mann,  
Der das vermag, was unser keiner kann.
 
Kaiser
Ich höre doppelt, was er spricht,              
Und dennoch überzeugt`s mich nicht.
 
Gemurmel
Was soll uns das?  - Gedrosch`ner Spaß –
 
Der Astrolog hat sich dem „Kapital“ auf dem Parkett zugewandt und versucht, die Seiten umzuschlagen.
 
Mephistopheles 
Da stehen sie umher und staunen,
Vertrauen nicht dem hohen Fund.
Ihr alle fühlt geheimes Wirken
Der ewig waltenden Natur.
Nur gleich entschlossen grabt und hackt:
Da liegt der Schatz!       
 
Mephistopheles wischt mit einem Handstreich alle Zauberei fort. Alle Anwesenden sind enttäuscht vom Ende des Spuks. Der Astrolog steht wieder mühselig auf. Mephistopheles hilft ihm dabei sehr robust, dass der alte Herr ins Taumeln kommt.
 
 
Kaiser
Nur eilig! Du entschlüpfst nicht wieder.
Ich lege Schwert und Zepter nieder
Und will mit eignen hohen Händen,
Wenn du nicht lügst, das hohe Werk vollenden,
Dich, wenn du lügst, zur Hölle senden!
 
Mephistopheles 
Den Weg dahin wüsst ich allenfalls zu finden. -
Doch kann ich nicht genug verkünden,
Was überall besitzlos harrend liegt.
Zur Nachbarschaft der Unterwelt!
Der Weise forscht hier unverdrossen;
 
Kaiser
Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.
Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht,
Zieh deinen Pflug und ackre sie ans Licht!
 
Mephistopheles 
Nimm Hack und Spaten, grabe selber!              
Die Bauernarbeit macht dich groß,
Dann ohne Zaudern, mit Entzücken
Kannst du dich selbst, wirst die Geliebte schmücken:
 
Kaiser
Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!
 
Astrolog     
Herr, mäßige solch dringendes Begehren,
Lass erst vorbei das bunte Freudenspiel!           
Wer Gutes will, er sei erst gut,
Wer Freude will, besänftige sein Blut,
Wer Wunder hofft, der stärke seinen Glauben! 
 
Kaiser
Sei die Zeit in Fröhlichkeit vertan!
Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.
Indessen feiern wir, auf jeden Fall,
Nur lustiger das wilde Karneval.
 
Der Kaiser erhebt sich und geht von der Bühne. Die Marionetten folgen ihm im Gänsemarsch. Mephistopheles bleibt allein auf der Bühne, die sich schon seit langem in Verwandeln befindet.
 
Mephistopheles 
Wie sich Verdienst und Glück verketten,
Das fällt den Toren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten,              
Der Weise mangelte dem Stein.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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