03 Text - faust-1-faust-2-inszenierung.com

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Faust 2015 > Ebene 03 Prolog im Himmel
03 Prolog im Himmel 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Szenenbild 01
Aus der völlig schwarzen Bühne bildet sich ein großflächiger Sternenhimmel auf  dem Horizontvorhang. Der 1. Satz der Sinfonie Nr. 8 setzt mit voller Lautstärke ein und begleitet als untermalende Bühnenmusik alle Szenen des Prologes. Eine Erdkugel (Durchmesser ca. 2,5m) wird in der Ferne sichtbar. Längen- und Breitengrade aus grobem Stacheldraht. Sie bewegt sich langsam in ihre Endposition. Der Vogel „Corvus Mysticus“ schwebt über den gesamten Bühnenraum.
Szenenbild 02
Das Bild der Mater Agape erscheint im linken Bühnenraum. Diese Gestalt in Verbindung mit dem Vogel „Corvus Mysticus“ symbolisiert eine über Allem stehende Allmacht, als Ebene über Göttern und Menschen
Szenenbild 03
Im rechten Bühnenhintergrund entsteht auf einem kreuzförmigen Projektionsvorhang ein goldenes Kreuz, das sich in die Bühnenmitte bewegt.
Szenenbild 04
„Corvus Mysticus“ nimmt den gesamten Bühnenraum ein. Der Vogel und  Mater Agape entfernen sich in Richtung Horizont.
Szenenbild 05
Das goldene Kreuz wird von einem großflächigen Kreuz aus Stacheldrähten überlagert und verschwinde. Auf dem Kugelgerüst werden die Kontinente der Erde, markiert durch lose aufliegende Tücher, erkennbar. Die kristallinen Gebirgsstruktur analog der letzten Szene „56 Bergschluchten“ bilden sich im Bühnenboden.
 
Szenenbild 06
Mephistopheles betritt mit einem dicken Buch, seinem Almanach, und einem knallroten Stockschirm die Bühne, setzt sich unter dem Kugelgerüst auf den Bühnenboden und beginnt, teilnahmslos zu blättern. Seine Mimik verrät, dass die Lektüre eine Idee in ihm weckt. Mit einer Handbewegung startet er eine Bühnenveränderung. Auf dem Stacheldrahtkreuz entstehen Graphiken, die Folterszenen der mittelalterlichen Inquisition darstellen. Die Einzelblätter werden wie vom Wind durch den Raum gewedelt und erreichen ihre Endposition.

Bild 07
Alle Graphiken des Inquisitionskreuzes. 
Szenenbild 08
Synchron zum Aufbau des Inquisitionskreuzes schweben die Kontinente nach allen Seiten fort und das Kugelgerüst wird als Käfig, als Gefängnis aus geschmiedeten, teils rostigen Stahlstäben, umgeben mit Stacheldraht erkennbar. In ihm ist Panthyrann als „Gott, der Herr“ gefangen. Er steht mit dem Rücken zum Publikum. Die Religionen an sich bzw. die Katholische Kirche im Besonderen als Gefangener der Menschheit. 
Szenenbild 09
Eine kreisförmige Bodenfläche aus Glas bietet Platz für eine große Staffelei, auf der das unfertige Portrait einer Nonne steht. Das Kugelgerüst beginnt sich um die Bodenscheibe zu drehen, die Tagesabläufe symbolisierend. Panthyrann geht die zwei Schritte zur Staffelei, nimmt das Nonnenbildnis und klammert es mit einer Wäscheklammer an einen der Breitengrade. Weitere Nonnenbilder liegen untern dem ersten. Er verstreut einige von ihnen auf dem Boden, nimmt einen Pinsel und beginnt, den Mund einer Nonne knallrot anzumalen.
Panthyrann hat eine Rolle übernommen, die voller Ironie und auch Selbstironie ist. Er spielt sich selbst, aber nicht aus dem Blickwinkel, wie Gläubige ihn sehen und sehen möchten, sondern aus seinem eigenen, wie er sich als Marionette sieht. Die Menschen haben ihn als allmächtigen Gott ersonnen, verehren und beten ihn an. Er selbst kann darüber nur müde lächeln, denn völlig machtlos und überflüssig kommt er sich vor. Deshalb die an Selbstverachtung grenzende Darstellung seiner Person, die eher an Perversion als an altehrwürdige Priesterschaft denken lässt. Seine Kardinalsmütze erklärt seinen Status. Ansonsten ist er mit einem weißen oberhalb der Knie endenden weißen Hemd bekleidet. Seine nackten behaarten Beine machen die Gestalt nicht gerade ehrwürdiger. Er schaut sich um und bemerkt, dass unzählige Augenpaare im Zuschauerraum auf ihn gerichtet sind. Grinsend bekennt er sich zu seinem schamvollen Aufzug. Er feixt mit dem Publikum, muss über sich selbst lachen.
Als allmächtiger Gott dieser Erde ist er von der Menschheit dazu verurteilt, die Erdkugel in Bewegung zu halten und um dieser Aufgabe gerecht zu werden, stemmt er sich mit größter Kraftanstrengung gegen die Gitterstäbe und begreift nicht, dass sich die Erde gleichmäßig und ruhig dreht - mit oder ohne seine Kraftanstrengungen. Das geht soweit, dass er sich von den Gitterstäben mitziehen lässt, sich wie in einem Karussell auf einen Breitengrad stellt und eine Runde mitfährt. Dabei setzt er eine gelangweilte Mine auf.. Er springt ab, stellt sich wieder in Position und zeigt sich pflichtbewusst. Mürrisch, aber stolz „arbeitet“ er und macht sich zum bedauernswerten Sisyphus.
Er schiebt er nicht die Erdkugel an, wendet er sich wieder der Staffelei zu und beginnt, mit geilem Gesichtsausdruck das Bild der schönen jungen Nonne auszumalen, indem er die Lippen röter macht, die Augenbrauen nachzieht usw. Er schneidet eine lüsterne Grimasse, sucht mit der freien Hand nach dem steifen Glied unter dem Hemd. Die Beleuchtung geht zurück.
Eine rote Linie als Vorderkante eines schmalen Laufsteges erscheint über der gesamten Bühnenbreite direkt hinter dem Erdkugelgerüst.
Auf ihr nähern sich die Erzengel, Michael und Gabriel von links und Raphael von rechts. Auf dem Rücken tragen sie albern wirkende vergoldete kleine Flügelpaare von Putten eines barocken Altars entliehen. Sie haben verschieden Reinigungsgeräte bei sich, Speisen und eine riesige Weinflasche.
Die Stimmen der Erzengel werden mit leichtem Nachhall verstärkt. Die Musikuntermalung wird zurück genommen.
Raphael
Die Sonne tönt nach alter Weise                                           
In Brudersphärenwettgesang,
Und ihre vorgeschrieb`ne Reise                         
Vollendet sie mit Donnergang.
 
Raphael beginnt, die Stäbe des Käfigs zu polieren. Er stößt die Erdkugel an und freut sich spitzbübisch über seine Macht, diese auch einmal bewegt zu haben. Panthyrann nimmt wenig Notiz von den Gehilfen. Er kaut an einem Brötchen, das ihm Raphael in den Käfig gereicht hat, und ist ganz mit seinen Kritzeleien beschäftigt. 
 
Raphael
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;                        
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
 
Mephistopheles steht neben dem Kristallbergen, punktuell beleuchtet. Er schaut kopfschüttelnd dem schamlosen Treiben seines „Bruders“ zu. Panthyrann entkorkt mit den Zähnen die Flasche und gießt sich ein und trinkt das erste Glas mit einem Zug leer. Gabriel fegt von außen den Käfig. Zur Rhythmik der ersten Zeile fegt er im Takt und gibt eine kokette Figur ab. Panthyrann und Gabriel kommen in Blickkontakt. Panthyrann zeigt verschmitzt auf den gelungen roten Mund der jungen Nonne.
 
Gabriel
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer schauervoller Nacht;
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen  
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.
 
Szenenbild 10
Mephistopheles ersteigt einen der großen Kristalle und macht dabei eine hämische Grimasse. Michael ist der Desinteressierte und schaut bei seinem Monolog kaum auf, er ist damit beschäftigt, einen Farbfleck vom Glasboden zu entfernen. 
Michael
Und Stürme brausen um die Wette                                       
Vom Meer auf`s Land, vom Land aufs Meer,
Und bilden wütend eine Kette                  
Der tiefen Wirkung rings umher.
 
Bei der letzten Zeile scheint er fast einzuschlafen. Wieder aufgewacht, zu Panthyrann gewandt, kommen unterwürfig die nächsten beiden Zeilen.
 
Michael
Doch deine Boten, Herr, verehren                                        
Das sanfte Wandeln deines Tags.
 
Währenddessen haben die drei ihre Aufgaben erfüllt. Sie zupfen durch die Gitterstäbe hindurch noch etwas am Hut Panthyranns herum, stellen sich auf den mittleren Breitengrad der Erdkugel und singen zum Abschied gassenhauerisch:
 
Chor
Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
Da keiner dich erkünden mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
 
 
Wiederholung
Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
Da keiner dich erkünden mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.     
                                        
 
Die Erzengel entfernen sich über die rote Linie wie sie gekommen sind.
Die Projektion der Graphiken auf dem Kreuz verwandelt sich in das stetig heller werdende Bild einer Frau in der Stellung einer Gekreuzigten vor dem wieder erscheinenden Stacheldrahtkreuz. Der Kristall, auf dem Mephistopheles steht, wächst in die Höhe und erreicht die Erdkugel. Nur Panthyrann und Mephistpheles sind hell beleuchtet. Sie begrüßen sich theatralisch. Mephistopheles ist auf seinem Kristall so nahe an den Kugelkäfig gekommen, dass er  die Breiten- und Längengrade greifen kann. Er schwingt sich hinüber und setzt sich, die Beine im Inneren des Käfigs baumelnd, auf einen der mittleren Breitengrade und fährt wie auf einem Karussell einige Runden.
Er klettert zu Panthyrann hinein und sie begrüßen sich nochmals, indem sie sich kumpelhaft einander auf die Schulter schlagen. Mephistopheles nimmt Panthyrann den Pinsel aus der Hand und macht noch einen höchst unanständigen Krakel auf eines der Bilder. Beide grinsen obszön. Das Gespräch zwischen Mephistopheles und Panthyrann beginnt in einem Tonfall absoluter Vertrautheit. Wie zwei gleichberechtigte Inhaber einer Firma witzeln sie miteinander.
Sie schauen die Gekreuzigte an und machen genießerische Gesten - die beiden großen Frauenverachter.
 
(Achtung! Jetzt werden gegenüber dem Original z.T. die Rollen vertauscht)
 
Panthyrann
Da du, o Herr,  wieder einmal fragst,
Wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich  gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.        
 
Das „O Herr“ kommt höchst ironisch unterwürfig mit angedeuteter Verbeugung.
 
Mephistopheles
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen.
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen,
Hätt`st du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn und Welten weiß ich nichts zu sagen;
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
 
Mephistopheles macht zu Panthyrann die Andeutung einer unterwürfigen Handbewegung gleichzeitig auf die Oberfläche der Erde verweisend. 
 
Mephistopheles
Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag.
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.    
Ein wenig besser würd er leben,
Hätt`st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
 
Panthyrann und Mephistopheles durcheinander sprechend:
 
Panthyrann
Er nennts Vernunft und braucht`s allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
 
 
Mephistopheles
Er scheint mit Verlaub von Euer Gnaden,                            
Wie eine der langbeinigen Zikaden,
die immer fliegt und fliegend springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt.
 
Panthyrann
Und läg er immer nur noch in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.
 
Panthyrann (sehr pathetisch)
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
 
Mephistopheles (sehr bestimmend)
Nein, Herr! Ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen;     
Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.
 
Panthyrann nimmt sich die Kardinalsmütze vom Kopf und kratzt sich nachdenklich den Kopf.
 
Panthyrann
Kennst du den Faust?
 
Mephistopheles
Den Doktor?
 
Panthyrann
Meinen Knecht!

 
Mephistopheles verfällt in einen mittleren Lachanfall, der sich im unendlichen Himmel echohaft vervielfältigt.
 
Mephistopheles
Fürwahr! Er dient euch auf besond`re Weise.    
Nicht irdisch ist des Toren Trank und Speise.
Ihn treibt die Gärung in die Ferne,
Er ist sich seiner Torheit halb bewusst;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne
Und von der Erde jede höchste Lust,       
Und alle Näh und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
 
Panthyrann
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,
So wird` ich ihn bald in die Klarheit führen.       
 
Mephistopheles fällt ihm ins Wort und greift sich unanständig an sein Geschlecht.
 
Mephistopheles
Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Dass Blut` und Frucht die künft`gen Jahre zieren.
Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren,              
Wenn ihr mir die Erlaubnis gebt,
Ihn meine Straße sacht zu führen!
 
Mephistopheles macht mit der Hand eine Gebärde, die an das Würfelspiel im vorangegangenen Bild erinnert.
 
Panthyrann
Solang er auf der Erde lebt,
Solange sei dir`s nicht verboten.
Es irrt der Mensch, solang er strebt.
 
 
Mephistopheles
Da dank ich euch; denn mit den Toten
Hab ich mich niemals gern befangen.
Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.
Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
 
Panthyrann
Nun gut, es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab
Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:
Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.
 
Mephistopheles
Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
 
Panthyrann
Staub soll er fressen, und mit Lust,
 
Mephistopheles
Wie meine Muhme, die berühmte Schlange!
 
Szenenbild 11
Beide umarmen sich kumpelhaft. Mephistopheles steigt aus dem Käfig heraus und klettert auf den Kristallberg zurück. Der senkt sich herab, aber im letzten Moment entscheidet sich Panthyrann zur Flucht aus seinem Gefängnis und damit zum „wahren“ Leben auf der Erde. Er zerrt das Nonnenbildnis von der Staffelei, klettert ungeschickt durch die Gitterstäbe und schwingt sich zu Mephistopheles hinüber. Gemeinsam stehen sie auf dem Kristall, das sich auf Bühnenniveau absenkt. Sie halten sich gegenseitig, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Das Kugelgerüst wird dunkler und verschwindet völlig. Mephistopheles wendet sich, soweit es der Platz auf dem spitzen Kristall zulässt, von Panthyrann ab und ruft zum Publikum:
Mephistopheles
Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,   
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
 
Szenenbild 12
Panthyrann hindert Mephistopheles daran, auch die letzten beiden Verszeilen zu sprechen, indem er Mephistopheles gefährlich weit an den Rand des Kristalls drückt. Er selbst will diese Verszeilen sprechen, aber die zweite Zeile ruft dann doch Mephistopheles in das Theater.
Panthyrann
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
 
Während beide verschwinden und sich die Bühne verdunkelt, erscheint hinter dem Bild der Gekreuzigten die Hintergrundkulisse der Szene „06 Vor der Stadt“. Mater Agape bleibt schwach beleuchtet im linken Bühnenbereich, bis auch sie im Dunkel verschwindet.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü