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Faust 2015 > Ebene 12 Abend
12 Abend 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Szenenbild 01
Der Längsbalkens des riesigen schräg stehenden schwarzen Kreuzes, das sich am Ende des vorangegangenen Bildes entwickelte, bildet die Wand, vor der Margarethes Bett steht. Bett, Schrank mit Spiegel und Tisch zeigen kleinbürgerliche Ordnung. Über dem Bett ein goldenes schlichtes leuchtendes Kruzifix. Auf dem runden Biedermeiertischchen steht in einer schlichten Glasvase ein Strauss rotgelber Rosen.
Margarethe betritt das Zimmer, wirft den Umhang auf das Bett und hängt ihre Kostümjacke sorgfältig auf einen Bügel und in den Schrank. Sie ist nur mit Rock und Bluse bekleidet. Sie stellt sich vor den Spiegel, der an der Breitseite des Schrankes hängt, löst das Band aus dem Haar, kämmt sich. Vor dem Spiegel murmelt sie in Gedanken:
Margarethe
Ich gäb` was drum, wenn ich nur wüsst`,
Wer heut der Herr gewesen ist!
 
 
Szenenbild 02
Sie bindet ihre langen blonden Haare zum Pferdeschwanz, schüttelt den Kopf einige Male, so dass der Schwanz herumfliegt und ihr ins Gesicht schlägt, nimmt ihren Umhang vom Bett, hängt ihn sich geschickt um, wirft ihren Pferdeschwanz unter der Kapuze hervor, und verlässt das Zimmer. Mephistopheles und Faust haben abseits gewartet.
Fausts Blicke verfolgen Margarethe verzaubert.
Mephistopheles
Herein, ganz leise, nur herein!
 
Szenenbild 03
So wie er die lustvolle Wonne fühlt, fühlt er auch das Verbotene, das Anstößige seines Handelns. Es ist unverschämt, hinter dem Rücken des unbekannten Mädchens deren intimsten Bereich zu betreten. Nein, nur nichts berühren, keine Spur hinterlassen. Es muss ungeschehen bleiben, was gerade geschieht. Fausts Blicke streifen Mephistopheles, der neugierig, immerzu die Nase rümpfend in allen Ecken herumschnüffelt wie ein hungriger Hund. 
Faust          
Ich bitte dich, lass mich allein!
 
Im Gehen wendet sich Mephistopheles um und bemerkt lakonisch im Flüsterton:
 
Mephistopheles
Nicht jedes Mädchen hält so rein.
 
Faust          
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
Wie atmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armut welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!
Was fasst mich für ein Wonnegraus!
Hier möchte` ich volle Stunden säumen.
Armsel`ger Faust, ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang`s, so grade zu genießen,
Und fühle mich im Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach, wie so klein!
Läg`, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.
 
Er sieht sich bereits vor dem Objekt seiner Begierde auf dem Boden winseln, als Mephistopheles ihn hart am Arm greift.
 
Mephistopheles
Geschwind! ich seh` sie unten kommen.
 
Szenenbild 04
Beide laufen eilig von der Bühne. Margarethe kommt zurück. Sie streift sich die Kapuze vom Kopf, löst das Band, das ihren Pferdeschwanz zusammenhält und lässt die Haare in ihrer Pracht über das Blau und Weiß ihrer Garderobe fallen. 
Margarethe
Es ist so schwül, so dumpfig hie.
Und ist doch eben so warm nicht drauss.
Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib -
Bin doch ein töricht furchtsam Weib!
 
Während dieses Selbstgespräches hat sie sich die Schuhe und auch den Rock ausgezogen. Über dem Unterrock trägt sie nur noch die halboffene Bluse. Sie geht im Zimmer auf und ab und beginnt zu singen:
 
Margarethe
Es war ein König in Thule,
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen gold`nen Becher gab.
 
Es ging ihm nichts darüber,
Er leer`t  ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.
 
Und als er kam zu sterben,
Zählt` er seine Städt` im Reich,
 
Während ihres Gesanges öffnet sie die Schranktür und entdeckt das Schmuckkästchen. 
 
Margarethe
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Vieleicht bracht`s jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
 
Sie nimmt das Schmuckkästchen in die Hände, spürt seine Schwere, setzt sich damit auf den Bettrand und öffnet es mit dem daran hängenden Schlüsselchen. Ein Schreck durchfährt sie beim Anblick des Inhaltes. Einige Ketten mit Perlen und Edelsteinen, Ohrringe und Anstecknadeln befinden sich darin. Noch nie hat sie einen derartigen Schatz in den Händen gehalten. Scheu und ehrfurchtsvoll stellt sie das Kästchen neben sich auf das Bett und stellt sich davor. Eine Perlenkette nimmt sie heraus und geht damit zum Spiegel, hängt sie sich um den Hals.
 
Margarethe
Was ist das? Gott im Himmel! Schau,
Wie sollte mir die Kette steh`n?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
 
Ein Strahlen geht über ihr Gesicht, sie springt zurück zum Bett, sucht sich die zur Kette passenden Ohrringe heraus und saust zum Spiegel zurück. Sie ist plötzlich von kindlicher Begeisterung getrieben, sich vor dem Spiegel mit den entdeckten Schätzen zu schmücken, dass es ihr nicht schnell genug geht. 
 
Margarethe
Wenn nur die Ohrring` meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
                            
 
Szenenbild 05
Sie steht vor ihrem Spiegelbild und ist vor Staunen wie geistesabwesend, berührt zärtlich die schwingenden Ohrgehänge und beginnt, langsam wieder auf den Boden der Realität zu kommen. Schade, geht es ihr durch den Kopf, nicht dazu geboren zu sein, derartige Kostbarkeiten tragen zu dürfen. Wie glücklich muss diejenige sein, der dies gehört und die es wagen darf, so geschmückt unter Leute zu gehen.
Sie entfernt die Dinge langsam von Hals und Ohren und legt sie sorgfältig ordnend wieder zurück, schließt das Kästchen und stellt es auf den Tisch, denn die Mutter wird bald kommen und ihr berichten, was es mit diesen zauberhaften Dingen auf sich hat. Dass ihre Person mit diesem Schmuck in Zusammenhang stehen könnte, kommt ihr nicht in den Sinn. Sie legt sich auf das Bett, stützt den Kopf auf die Hände und schaut sinnierend das Kästchen an und stellt fest, was das heute für ein erlebnisreicher, wunderbarer Tag war.
Margarethe
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles! Ach, wir Armen!
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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