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Faust 2015 > Ebene 37 Klassische Walpurgisnacht
37 Klassische Walpurgisnacht / 1
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Pharsalische Felder / Am oberen Peneios
 
Schwarze Bühne. Im Bühnenvordergrund steht schwach beleuchtet  eine Amorskulptur. Daneben eine vertikale braun-rote Vorhangfläche, vor der Erichtho erkennbar wird. Der Text der Erichtho ist vergleichbar dem Einleitungstext Helenas beim Eintreffen im Palast des Menelas. Er ist als Einleitung zum Zauber der „Klassischen Walpurgisnacht“ zu verstehen und wird über Lautsprecher verstärkt. Die „Klassische Walpurgisnacht“ wird mit dieser erotischen Szene eröffnet und wird am Ende im großen „Erosfest“ ihren Höhepunkt erreichen. Zwei Orgasmen sind die Eckpfeiler dieses Aktes. 
 
Erichtho     
Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,      
Tret ich einher, Erichtho, ich, die Düstere;
Als Nachgesicht der sorg- und  grauenvollsten Nacht.
 
Szenenbild 01
Während einer kurzen Textpause wendet sich Erichtho auf die Amorstatue zu und
lässt nach und nach ihre Hüllen fallen. Wenn es zur ersten Berührung mit der Statue kommt, sollte sie weitestgehend nackt sein. Sie berührt dessen Körper und lässt ihrem Lustdrang freien Lauf. Der Orgasmus ist offensichtlich. Erichtho wendet sich ab und läuft, die letzten Züge der ausklingenden Lust im mehrfachen Aufbäumen auskostend von der Statue fort, kehrt nochmals zurück, streicht am Körper des Amor entlang und stellt sich in ihre Ausgangsposition.
Die Gestalt des Amor wird wellenförmig hell- bis dunkelblau beleuchtet, so dass ersichtlich wird, dass das Sexualfeuer einer thessalische Hexe auch einen Marmorblock in höchste Erregung bringen kann. Die Mondscheibe wird in der Ferne schwach sichtbar.
Erichtho     
Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
Doch über mir! welch unerwartet Meteor?                 
Ich wittre Leben. Da geziemen will mir`s nicht,
Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin:
 
Erichtho wird abgedunkelt und geht unbemerkt von der Bühne. Die Marmorstatue bleibt im matten Licht unverändert stehen. Sternenhimmel wird auf den Horizontvorhang projiziert.
Mephistopheles, Panthyrann und Faust schweben auf der Glasplatte ein, verfolgt von dem separat einfliegenden Homunculus. Homunculus springt neugierig im hinteren Bühnenbereich herum. Die folgenden Texte werden noch während der Fahrt gesprochen.
 
Homunculus        
Sieh! da schreitet eine Lange
Weiten Schrittes von uns hin.
 
 Mephistopheles   
Ist es doch, als wär ihr bange:
Sah uns durch die Lüfte ziehn.
 
Homunculus        
Lass sie schreiten! - Setz ihn nieder,
Deinen Ritter, und sogleich
Kehret ihm das Leben wieder;
Denn er sucht`s im Fabelreich.
 
Der „reale“ Faust liegt unter der Theaterbühne im Koma. Der „irreale“ Faust beginnt in phantastischen Träumen die Irrfahrt im antiken Griechenland nach seinem Frauenidol. Er hat nichts anderes im Sinn als „Helena“. 
 
Faust
Wo ist sie?
 
Homunculus ist sich seiner Führerrolle zwar bewusst. Er will sich amüsieren, denn dass es hier um Vergnügungen höchsten Ausmaßes geht, ist ihm ebenso wie seinem Kollegen Mephistopheles bewusst, wobei Homunculus wie Faust ein hohes Ziel im Auge hat: er möchte seine „Körperlichkeit“ dahingehend vervollständigen, dass er sich als wirklicher Mensch fühlen kann, denn er spürt die Dominanz seiner geistigen Fähigkeiten und „lebt“ nur, weil er noch immer in der Phiole eingeschlossen ist.
Faust träumt seinen Traum von Helena und ist ausschließlich auf dem Weg zu ihr. Homunculus und Faust verbinden sich zu einer Art Interessengemeinschaft, um gemeinsam zum Ziel ihrer Träume zu kommen. Mephistopheles ist mehr oder weniger auf sich selbst angewiesen und geht eigene Wege. Er hat noch kein direktes Ziel und lässt die Ereignisse wie auch Entscheidungen in den Träumen Fausts planlos auf sich zukommen.
 
Homunculus        
Wer zu den Müttern sich gewagt
Hat weiter nichts zu überstehen.
 
 Mephistopheles   
Lass deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.
 
Homunculus        
So soll es blitzen, soll es klingen.
 
Homunculus schwebt in riesigen Sprüngen davon und Mephistopheles legt sich in unmittelbarer Nähe der Amorstatue auf den Bauch und sucht vergeblich nach der  verschwundenen Erichtho. Faust läuft allein auf der Bühne hin und her und „sucht“.
 
Faust
Wo ist sie? - Frage jetzt nicht weiter nach!
Und find ich hier das Seltsamste beisammen,
Durchforsch ich ernst dies Labyrinth der Flammen.
 
Szenenbild 02
Die Amorstatue bleibt als Symbol der Antike stehen – ein menschlichen Körper als Kunstwerk. Homunculus verschwindet nach wilden Sprüngen im hinteren Bühnenbereich.
Faust folgt dem Homunculus und ist ebenfalls nicht mehr zu sehen. Nur Mephistopheles macht die Bekanntschaft mit den Sagenwesen der Mythologie und amüsiert sich nach Teufelsherzenslust, nachdem er sich von Panthyrann, der noch immer auf der Glasscheibe unschlüssig steht, verabschiedet hat.
Zwei Sphinxe kommen von rechts auf die Bühne Es sind Katzen mit einer Kopfhöhe von ca. 2,5m. Die Sphinxe werden auf Projektionsbahnen projiziert. Die Gesichter der zugehörigen Schauspielerinnen, die die Texte sprechen, werden in die projizierten Katzen übertragen.
Zeitlich versetzt erscheinen die beiden Greife als projizierte Bilder auf Flächen, die frei im Bühnenraum hängen. Im Gegensatz zu den lebendigen Sphinxen sind diese rein statisch, leblos. Ihr Text wird ebenfalls von Schauspielern gesprochen, die neben bzw. unterhalb der Greife auf dem Bühnenboden stehen. Bekleidet sind sie mit schwarzen Smokings. Ihre Stimme wird akustisch verzerrt, so dass ein Krächzen entsteht.
In dem schwebenden Kubus warten die Sirenen auf ihren Auftritt in Szenenbild 03.
Mephistopheles lehnt zu Beginn der Szene lässig am Standbild des Amors, beobachtet die Ankunft der mythologischen Sagenwesen und kommentiert, mitunter den Kopf schüttelnd:
 Mephistopheles   
Fast alles nackt, nur hie und da behemdet,
Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,                                    
Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
Doch das Antike find ich zu lebendig;
Ein widrig Volk! 
 
Szenenbild 03
Die beiden Sphinxe bewegen sich in den Vordergrund der Bühne und stehen dicht beieinander. Sie bemerken Mephistopheles, der auf sie zukommt, mustern ihn als Fremden, als Eindringling. 
Sphinx
Nenne dich!
 
 Mephistopheles   
Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen. -
 
Keine der beiden Sphinxe zeigt auffallendes Interesse an Mephistopheles. Er wird mehrfach in seiner Erzählung unterbrochen und gefragt:
 
Sphinx
Hast du von Sirenen einige Kunde?
Was sagst du zu der gegenwärtigen Stunde?
 
Mephistopheles geht auf den liebenswürdigeren Ton der Sphinxe ein und wagt es, die erste zu berühren und zu kraulen. Die windet sich behaglich, während die andere sofort eifersüchtig mit den Vorderfüßen scharrt und zu verstehen gibt, dass auch sie Lust auf Zärtlichkeiten hat. Die Greife nähern sich der Bühnenmitte.
 
 Mephistopheles   
Mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.
 
Erster Greif
Den mag ich nicht!
 
Zweiter Greif
Was will uns der?
 
Sphinx
Du magst nur immer bleiben.
 
 Mephistopheles   
Du bist recht appetitlich oben anzuschauen                
Doch untenhin - die Bestie macht mir Grauen.
 
Szenenbild 04
Die im Inneren des hängenden Kubus wartenden Sirenen entfernen von innen den Vorhang und beginnen zu singen und sich tänzerisch zu bewegen. Mehrere halb- oder gänzlich nackte Frauen schwingen sich an Seilen auf die obere Ebene des Kubus. Ihr Gesang kommt aus Lautsprechen.
Motiv: G. Mahler „Des Knaben Wunderhorn“ „Wer har dies Liedlein erdacht“
Entsprechen der Überlieferung fliehen alle vor dem Anblick der Sirenen. Selbst die Greife verstecken sich hinter dem herabgelassenen dunkelrotem Vorhang.
 Mephistopheles   
Wer sind die Vögel?
 
Sphinx
Die Allerbesten                      
Hat solch ein Singsang schon besiegt.
 
Die Gespräche zwischen den Sphinxen und Mephistopheles haben einen herzhaften lästerlich-kameradschaftlichen Tonfall angenommen. 
 
 Mephistopheles   
Das Trallern ist bei mir verloren:
Es krabbelt wohl mir um die Ohren,
Allein zum Herzen dring es nicht.
 
Sphinxe
Sprich nicht vom Herzen! Das ist eitel:
Ein lederner, verschrumpfter Beutel,
Das passt dir eher zu Gesicht.
 
Szenenbild 05
Das Lied der Sirenen klingt noch immer in der Höhe, allerdings leiser geworden, denn die Sirenen haben ihren Vorhang wieder zugezogen. Die auf dem Kubus Sitzenden nehmen Schlafstellung ein.
Die Sphinxe und Greife kommen aus ihren Verstecken zurück. Faust hat seinen Rundgang über die hinteren Bühnenbereiche beendet, stellt sich in die Nähe der Amorstatue und beobachtet staunend kommentierend die Greife und Sphinxe.
Faust
Wie wunderbar! Das Anschau`n tut mir G`nüge:
Wohin versetzt mich dieser ernste Blick!                    
Vom frischen Geiste fühl ich mich durchdrungen:
Gestalten groß, groß die Erinnerungen.
 
Szenenbild 06
Mephistopheles erscheint neben Faust, legt seinen Arm um dessen Schulter und spricht sehr kameradschaftlich:
 Mephistopheles   
Sonst hättest du dergleichen weggeflucht.
Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
Denn wo man die Geliebte sucht,
Sind Ungeheuer selbst willkommen.
 
Faust
Ihr Frauenbilder müsst mir Rede stehn:
Hat eins der euren Helena gesehn?
 
Szenenbild 07
Die Sphinxe reden mit Faust, aber nur deshalb, weil ihr neuer Freund Mephistopheles diesen Menschen gut behandelt. Mit „normalen“ Menschen hat die Antike nicht viel zu schaffen und die Sagengestalten hätten den Eindringling Faust vermutlich weggezischt oder ihn mit den Krallen übel zugerichtet.
Sphinxe
Von Chiron könntest du`s erfragen;
Der sprengt herum in dieser Geisternacht;
Kannst du den hohen Chiron finden,
Erfährst du, was ich dir verhieß.
 
Szenenbild 08
Faust verbeugt sich nach europäischer Sitte und fasst nach Mephistopheles` Schulter, um mit ihm gemeinsam nach dem Hoffnungsträger Chiron zu suchen. Die Greife verschwinden vorübergehend.
Ein Vorhang verdeckt vorübergehend die Bühne, so dass unbemerkt für das Publikum die Nymphenstatuen für die nächste Szene auf die Bühne gefahren werden können. Vor dem Vorhang spielt sich das Spektakel der Lernäischen Schlange Hydra ab, die als Sturm farbiger Chiffontücher von der rechten Bühneseite auf die linke „geschossen“ werden (auf Seilen geführte „Gardinen“) Mephistopheles weicht erschrocken zurück.
Sphinx
Vor diesen sei euch ja nicht bange!
Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,              
Vom Rumpf getrennt, und glauben was zu sein. –
 
Mephistopheles hat sich erhoben und zeigt die Absicht, zu gehen, um weiteres zu erleben, während Faust wie angenagelt stehen bleibt.
 
Sphinxe
Wo wollt ihr hin? - Begebt euch fort! -
 
 Mephistopheles   
Ihr bleibt doch hier, dass ich euch wiederfinde?
 
Sphinx
Ja! Misch dich zum luftigen Gesinde!
Wir, von Ägypten her, sind längst gewohnt,
Dass unsereins in tausend Jahren thront.
 
Szenenbild 09
Mephistopheles wandert in die hintere Bühne. Wichtig ist die Ankündigung des Chiron, denn von diesem hängt die Weiterführung des Faust-Unternehmens, Helena zu finden, ab.
Der Zwischen-Vorhang wird hochgezogen und die neue Bühnenlandschaft offenbart sich. Faust wandert am Ufer des Peneios zwischen den Marmorstatuen der Nymphen entlang und lässt sich faszinieren von deren Anblick.
Faust
So wunderbar bin ich durchdrungen!
Sind`s Träume? Sind`s Erinnerungen?
Schon einmal warst du so beglückt.
 
Die Nymphen sprechen im Chor und während der sechs Verszeilen wird ihre Aussprache immer rhythmischer und geht in das Hufschlagen über, so dass damit die Ankunft des Chiron angekündigt wird.
 
Nymphen   
Hör ich recht, so kommt mir`s vor
Als der Schall von Pferdes Hufe.
Wüsst ich nur, wer dieser Nacht
Schnelle Botschaft zugebracht!                 
 
Szenenbild 10
Der Hufschlag des Chiron und wird zum Getöse. Die Nymphen bleiben weiterhin aktiv, werden aber in den Hintergrund geschoben. Faust steht erwartungsvoll am „Ufer“.
Aus dem Sternenhimmel bildet sich die Gestalt des Chiron riesig groß, aber verschwommen heraus. Chiron ist weiblich.
Der Nymphengesang verstummt. Es dröhnt im Theater vom Hufschlag. Die überlebensgroße Gestalt des Chiron kommt auf Faust zu.
Faust
Szenenbild 11

Ist mir doch, als dröhnt` die Erde,
Schallend unter eil`gem Pferde!
O Wunder ohnegleichen!
Halt, Chiron! Halt! Ich habe dir zu sagen -         
Chiron
Was gibt`s? Was ist`s?
 
Faust
Bezähme deinen Schritt!
 
Chiron
Ich raste nicht.
 
Faust
So, bitte, nimm mich mit!
 
Der Hufschlag verstummt schlagartig. Faust schwingt sich an der Mähne des Tieres haltend auf den mächtigen Pferdekoloss
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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