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Faust 2015 > Ebene 46 Die Todeszelle 2
46 Die Todeszelle 2 / 1
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Szenenbild 01
Faust und Mephistopheles kommen auf dem Mittelsteg in Richtung Bühne, bleiben zögernd in der Mitte des Parkettes stehen.
Faust
Hier wohnt sie, hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war nur ein guter Wahn!
Du zauderst, zu ihr zu gehen?
Du fürchtest, sie wiederzusehen?
 
Mephistopheles schließt die Gittertür auf. Faust geht auf Margarethe zu. Sie bemerkt  ihn, ist aber nach der Vergewaltigung zu apathisch, um ihn zu erkennen.
 
Faust
Sie ahnet nicht, dass der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.
 
Margarethe
Weh! weh! sie kommen. Bittrer Tod!
 
Faust
Still! still! ich komme, dich zu befreien.
 
Szenenbild 02
Margarethe ist während der folgenden Szenen vor Angst teilweise verwirrt, aber dann auch wieder bei völlig klarem Bewusstsein und reagiert logisch und konsequent. Die Verwirrung ist eher ein Schockzustand. Sie kann die unerwartet eingetretene Situation in ihrer Tragweite nicht erfassen. So sehnsüchtig sie soeben noch an den Geliebten dachte, so wenig erwartet sie sein plötzliches Kommen. Panthyrann kommt auf dem Steg zur Bühne gerannt. um wieder als stiller Beobachter zuzuschauen.
Ohne dass Margarethe den Eingetretenen versucht anzuschauen, fleht sie mit zitternder Stimme:
Margarethe
Bist du ein Mensch, so fühle meine Not!
 
Faust
Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
 
Er fasst die Ketten, um sie aufzuschließen. Sie lässt sich auf die Knie fallen. Ihre gefesselten Arme schnellen in die Höhe und verursachen wieder das bereits mehrfach gehörte laute Kettenrasseln. Margarethe ist wieder fähig, Gedanken zu denken und auszusprechen, aus Angst und Hoffnung auf Verzögerung. Ja, sie hat Angst vor dem Gang durch die Straßen, vor den Blicken der wollüstigen Gaffer, die sich an ihrem Untergang weiden werden und sich mit Wonne die gruseligen Schauer über den Rücken rieseln lassen. Das ist schwerer zu ertragen als das Fallenlassen in das Wasser. Ihre Hände umfassen die Kruzifixfüße als könnte von ihnen ein Schutz ausgehen.
 
Margarethe
Wer hat die, Henker, diese Macht
Über mich gegeben?
Du holst mich schon um Mitternacht!
Erbarme dich und laß mich leben!
Ist`s morgen früh nicht zeitig genug?
 
Faust bemüht sich sichtlich nervös die Handschellen aufzuschließen. Er hat Mühe, mit dem Schließmechanismus. Margarethe lässt ihn teilnahmslos gewähren. Völlig andere Gedanken rasen ihr durch den Kopf. Sie erinnert sich,  dass vor wenigen Minuten ein anderes Gesicht sie ekelerregend grinsend anstarrte, über ihr stöhnte und bestialisch stank. Sie sieht wieder diesen Menschen vor sich, zu dem jenes fürchterliche Gesicht gehörte, ihr Schmerzen zuführte, sie besudelte und sie anschließend wie ein gerade geschlachtetes Vieh an einen Haken hängte.
In dem Moment, als sie in die Fesseln gehängt wurde, hatte sie gehofft, tot zu sein und musste hören, dass ihr Herz noch immer schlug. Die Kälte und ihr Zittern machte ihr klar, dass sie keineswegs aufhören durfte zu leiden.
Es gelingt Faust endlich, die Handschellen zu lösen. Margarethe steht frei und reibt sich instinktiv die schmerzenden Handgelenke und versucht, sich durch Reiben der nackten Oberarme wärmer zu machen. Sie schaut Faust verängstigt an. Eine kurze Pause entsteht - eine Pause, die Margarethe die kleine Hoffnung gibt, dass jetzt etwas anderes als erwartet eintreten wird, aber was?
 
Margarethe
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
Nah war der Freund, nun ist er weit;
 
Faust greift sie bei den Schultern und zieht sie an sich.         
 
Margarethe
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab ich dir getan?
                   
 
Faust
Werd ich den Jammer überstehen?
 
Szenenbild 03
Margarethe befreit sich aus seinem Griff und geht zurück zum Kruzifix und hält sich an dessen Füßen fest. Ihre Stimme hat sich wieder normalisiert. Sie spricht zwar fröstelnd aber fast normal. Die Erregung lässt die Kälte in den Hintergrund treten.         
Margarethe
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Lass mich nur erst das Kind noch tränken!
Ich herzt es diese ganze Nacht;
Sie nahmen mir`s, um mich zu kränken,
Und sagen nun, ich hätt es umgebracht,
Und niemals werd ich wieder froh.
Sie singen Lieder auf mich!
Es ist so bös von den Leuten!
Ein altes Märchen endigt so,
Wer heißt sie`s deuten?
 
Faust geht erneut auf Margarethe zu und wirft sich vor ihr auf dem Strohhaufen nieder.
 
Faust
Ein Liebender liegt dir zu Füßen.
 
Sie kniet sich neben ihn nieder, ohne seine Worte überhaupt begriffen zu haben.
 
Margarethe
O lass uns knien, die Heiligen anzurufen!
 
Faust
Gretchen! Gretchen!
 
Margarethe
Das war des Freundes Stimme!
Wo ist er? Ich hab ihn rufen hören.
Ich bin frei! mir soll niemand wehren.
An seinen Hals will ich fliegen,
An seinem Busen liegen!
Er rief: Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durch den grimmigen teuflischen Hohn
Erkannt ich den süßen, den liebenden Ton.
 
Faust
Ich bin`s!
 
Margarethe
Du bist`s! O sag es noch einmal!
 
Endlich erkennt sie ihn, legt ihren Kopf an seine Schulter.
 
Margarethe
Er ist`s! er ist`s! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers? Der Ketten?
Du bist`s! kommst, mich zu retten!
 
Sie stockt. Schluchzen überkommt sie. Für einen Augenblick konnte über der Freude des Wiedersehens alles Übel verdräng werden. Sie löst sich langsam von ihm, beruhigt sich erstaunlich schnell und spricht sehr bestimmend und klar, fast mit einem Unterton von Trotz:
 
Margarethe
Ich bin gerettet!
 
Ihre Verwirrung gewinnt wieder Oberhand. Sie läuft auf das Kruzifix zu
 
Margarethe
Schon ist die Straße wieder da,
Auf der ich dich zum ersten Male sah,
Und der heitere Garten,
Wo ich und Marthe deiner warten.
 
Faust
Komm mit! komm mit!
Eile!
Wenn du nicht eilest,
Werden wir`s teuer büßen müssen.
 
Sie umarmt ihn nochmals, aber Faust befreit sich aus der Umarmung, ist zu Zärtlichkeiten unfähig und drängt nur zur Eile.
 
Margarethe
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
Und hast`s Küssen verlernt?
Warum wird mir an deinem Halse so bang,
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang
Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticken?
Küsse mich!
Sonst küss ich dich!
 
Sie umfasst ihn erneut, aber wesentlich heftiger als vorher.
 
Margarethe
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum?
 
Faust befreit sich wiederum aus der unnötig zeitverschwendenden Umarmung. Sie wendet sich enttäuscht von ihm.
 
Faust
Komm! folge mir!
Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies!
 
Margarethe
Und bist du`s denn? und bist du`s denn gewiss?
 
Faust
Ich bin`s! Komm mit!
 
Margarethe
Du machst die Fesseln los,
Nimmst wieder mich in deinen Schoß.
Wie kommt es, dass du dich vor mir nicht scheust? -
Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?
 
Faust
Komm! komm! Schon weicht die tiefe Nacht.
 
Margarethe
Meine Mutter hab ich umgebracht,
Mein Kind hab ich ertränkt.
War es nicht dir und mir geschenkt?
Dir auch! - Du bist`s! Ich glaub es kaum.
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand! - Aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich deucht,
Ist Blut dran!
Ach Gott! Was hast du getan!
Stecke den Degen ein!
Ich bitte dich drum.
 
Faust
Lass das Vergang`ne vergangen sein!
Du bringst mich um.
 
Margarethe
Nein, du musst übrig bleiben!
Ich will dir die Gräber beschreiben,
Für die musst du sorgen
Gleich morgen:
Der Mutter den besten Platz geben,
Meinen Bruder sogleich daneben,
Mich ein wenig beiseit,
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust!
Niemand wird sonst bei mir liegen! -
Mich an deine Seite zu schmiegen,
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
Mir ist, als müsst ich mich zu dir zwingen,
Als stießest du mich von dir zurück,
Und doch bist du`s und blickst so gut, so fromm.
 
Faust
Fühlst du, dass ich es bin, so komm!
 
Margarethe
Da hinaus?
 
Faust
Ins Freie!
 
Margarethe
Ist das Grab drauß,
Lauert der Tod, so komm!
Von hier ins ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt! -
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt ich mit!
 
Faust
Du kannst! so wolle nur! Die Tür steht offen.
 
Margarethe
Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
Was hilft es, flieh`n? Sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend, betteln zu müssen,
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend, in der Fremde schweifen! -
Und sie werden mich doch ergreifen!
 
Faust
Ich bleibe bei dir.
 
Sie steht am Kruzifix und trommelt mit ihren Händen darauf, während sie spricht. Faust hat sich einige Meter von ihr entfernt und schüttelt ungläubig den Kopf.
 
Margarethe
Geschwind! geschwind!
Rette dein armes Kind!
Fort! immer den weg
Am Bach hinauf,
Über den Steg,
In den Wald hinein,
Links, wo die Planke steht,
Im Teich.
Fass es nur gleich!
Es will sich heben,
Es zappelt noch!
Rette! rette!
 
Faust
Besinne dich doch!
Nur einen Schritt, so bist du frei!
 
Margarethe
Wären wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es fasst mich kalt beim Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe;
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr -
Sie schlief, damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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