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Faust 2015 > Ebene 55 Grablegung
55 Grablegung
 
Vor den Kreuzen der ersten Reihe hebt sich der Boden und Totenköpfe kommen an die Oberfläche. Diese übernehmen die Verszeilen der Lemuren und gestalten die sechs Verszeilen zu einer Art Wechselgesang Mephistopheles und Panthyrann bemühen sich, dem Körper Fausts die Seele zu entziehen.
Stimmen
Wer hat das Haus so schlecht gebaut,
Dir ist`s viel zu gut geraten.
Wer hat den Saal so schlecht versorgt?
Wo blieben Tisch und Stühle?
Es war auf kurze Zeit geborgt;
Der Gläubiger sind so viele.
 
Mephistopheles
Der Körper liegt, und will der Geist entfliehn,
Ich zeig ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; -
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel,
Dem Teufel Seelen zu entziehn.
 
Die Verse werden abwechselnd von Mephistopheles und Panthyrann gesprochen, denn beide wissen um ihre gleichen Rechte um die umkämpfte Seele Fausts.
 
Panthyrann
Uns gehts in allen Dingen schlecht!
Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,
Man kann auf gar nichts mehr vertrauen.
 
Mephistopheles
Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus,
Ich passt` ihr auf, und, wie die schnellste Maus,
Schnapps! hielt ich sie in fest verschlossnen Klauen.
 
Panthyrann
Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen;
Die Elemente, die sich hassen
Die treiben sie am Ende schmählich fort.
Und wenn ich Tag` und Stunden mich zerplage.
 
Mephistopheles
Wann? wie? und wo? das ist die leidige Frage;
Der alte Tod verlor die rasche Kraft.
Das Ob? sogar ist lange zweifelhaft;
Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder -
Es war nur Schein! das rührte, das regte sich wieder.
 
Panthyrann glaubt das Gesuchte ihm entgegenschweben zu sehen, greift hektisch danach aber es ist ein Griff ins Leere. Mephistopheles lacht spöttisch und greift dicht an das Geschlechtsteil Fausts heran und schreit:
 
Mephistopheles
Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln.
 
Nichts entweicht diesem Körper und beide fühlen, dass sie betrogen werden. Das Blatt wendet sich weiter. Mephistopheles gerät in Wut und beginnt, mit den Fäusten auf dem Leib Fausts herumzutrommeln. Panthyrann wird ebenfalls nervöser und versucht, die ersehnte Seele mit saugenden Gebärden für sich zu gewinnen. Beide unterbrechen mehrfach ihre in Ekstase mündenden Gebärden, indem sie einander anschielen und damit erkennen, dass der andere ebenfalls noch sieglos blieb. Also kämpfen sie weiter. Mephistopheles tobt. Was geht hier vor? Er muss irgendetwas falsch gemacht haben, denn was hier passiert, dass eine Seele derart lange braucht, um ihren Körper zu verlassen, kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Beide blicken sich wieder und wider misstrauisch, ja hasserfüllt an.
Panthyrann ist derjenige, der das Schweigen bricht. Er schaut nach oben und bedeutet Mephistopheles, ebenso zu schauen, was sich über ihnen bewegt.  Leise ertönen in der Ferne Klänge von sphärischer Musik, die von Gesang begleitet  immer lauter wird.
Es sind die Klänge der 8. Sinfonie Mahlers.
 
Mephistopheles
Misstöne hör ich, garstiges Geklimper,
Es ist das bübisch - mädchenhafte Gestümper,
Wie frömmelnder Geschmack sich`s lieben mag.
Ihr wisst, wie wir in tiefverruchten Stunden
Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht;
 
Panthyrann
Das Schändlichste, was wir erfunden,
Ist ihrer Andacht eben recht.
Sie kommen gleisnerisch, die Laffen!
So haben sie uns manchen weggeschnappt,
Bekriegen uns mit unseren eignen Waffen;
Es sind auch Teufel, doch verkappt.
 
Ein Zug von Priestern und Chorknaben marschiert auf die Vorderbühne. Während Panthyrann in gewohnter stolzsüchtiger Erhabenheit die Weihrauchdüfte genießt, die reichverzierten Gewänder seiner Priesterschaft bewundert und voller Zuversicht auch dieses Mal auf die bewährte Zeremonie vertraut, hat Mephistopheles mit anderen Problemen seiner selbst zu tun. Es gab bereits einmal das Vergnügen, ihn bei seinen intimsten Neigungen beobachten zu dürfen. Wie grenzenlos peinlich war es damals Panthyrann, sich von diesen Neigungen angesteckt zu sehen. Aber dieses Mal ist es anders.
Mephistopheles wird schwach beim Anblick dieser holden, verträumt andächtig blickenden Jünglinge in ihren weißen Gewändern, dass ihm der plumpe Pferdefuß zum hüpfenden Vogelbeinchen wird. Er wendet sich ab von Faust und betrachtet einen Burschen besonders. Von allen Seiten mustert er diese Gestalt seines Entzückens, berührt mit vorsichtig tastender Gebärde dessen Wange, der sich genierend ziert, aber nicht zu sehr.
Die Rosen, die Baucis aus den Leichnam Fausts gelegt haben, vervielfältigen sich und schweben über dem Toten und auch vor dem Gesicht des begehrenswerten Jünglings, so dass sich Mephistopheles mit diesen Blüten herumschlägt, als wäre er in einen Mückenschwarm geraten. 
 
Mephistopheles
Die Wetterbuben, die ich hasse,
Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor! -
Ihr schönen Kinder, lasst mich wissen:
Seid ihr auch nicht von Luzifers Geschlecht?
Ihr seid so hübsch, - fürwahr, ich möcht euch küssen!
Mir ist`s, als kämt ihr eben recht.
Es ist mir so behaglich, so natürlich,
Als hätt ich euch schon tausendmal gesehen,
So heimlich - kätzchenhaft begierlich;
Mit jedem Blick aufs neue schöner schön.
O nähert euch, o gönnt mir einen Blick!
 
Panthyrann amüsiert sich köstlich über Mephistopheles, der in die reinste sexuelle Ekstase gerät.
 
Panthyrann
Ihr scheltet uns verdammte Geister
Und seid die wahren Hexenmeister;
Denn Ihr verführet Mann und Weib. -
Welch ein verfluchtes Abenteuer!
Ist dies das Liebeselement?
 
Mephistopheles
Der ganze Körper steht in Feuer,
Ich fühle kaum, dass es im Nacken brennt. -
Ihr schwanket hin und her: so senkt euch nieder,
Ein bisschen weltlicher bewegt die holden Glieder;
Fürwahr, der Ernst steht euch recht schön;
Doch möcht ich euch nur einmal lächeln sehn!
Das wäre mir ein ewiges Entzücken.
Ich meine so, wie wenn Verliebte blicken,
Ein kleiner Zug am Mund, so ist`s getan.
Dich, langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden,
Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,
So sieh mich doch ein wenig lüstern an!
Auch könntet ihr anständig - nackter gehen,
Das lange Faltenhemd ist übersittlich -
Sie wenden sich - von hinten anzusehen! -
Die Racker sind doch gar zu appetitlich!
 
Mephistopheles erfährt einen wahrhaft teuflischen Orgasmus, wirft sich von einem Jüngling zum anderen, rast vor sexueller Begeisterung und wirft sich in seiner Ekstase an den Hals Panthyranns und schreit:
 
Mephistopheles
Wie wird mir? - Hiobsartig, Beul an Beule
Der ganze Kerl, dem`s vor sich selber graut,
Und triumphiert zugleich, wenn er sich ganz durchschaut,
Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut;
Gerettet sind die edlen Teufelsteile,
Der Liebesspuk, er wirft sich auf die Haut;
Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen,
Und wie es sich gehört, fluch ich euch allzusammen!
 
Panthyrann
Doch wie? - Wo sind sie hingezogen?
 
Mephistopheles
Mir ist ein großer, einziger Schatz entwendet:
Die hohe Seele, die sich mir verpfändet,
Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
Bei wem soll ich mich nun beklagen?
Wer schafft mir mein erworbnes Recht?
 
Panthyrann
Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,
Du hast`s verdient, es geht dir grimmig schlecht.
 
Mephistopheles
Ich habe schimpflich missgehandelt,
Ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan;
Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
Den ausgepichten Teufel an.
Und hat mit diesem kindisch - tollen Ding
Der Klugerfahrne sich beschäftigt,
So ist fürwahr die Torheit nicht gering,
Die seiner sich am Schluss bemächtigt.
 
Der Priesterzug ist verschwunden und die Bühne versinkt im Dunkel. Nur der Körper Fausts bleibt noch einige Sekunden im matten Scheinwerferkegel sichtbar.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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